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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten
Autoren: Manda Scott
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aller denkbaren Ereignisse gewesen sein dürfte -, und selbst im Anschluss daran noch immer nicht auch die Bodicea vergewaltigten, geschweige denn die gesamte Familie einfach abschlachteten.
    An diesem Punkt scheinen nun zwei Dinge von Bedeutung zu sein, und beide gehören zu den weniger beachteten Eigenarten des römischen Gesetzes. In einem weiteren Bericht von Tacitus findet sich nämlich eine lebendige Schilderung jener Racheakte, unter denen die Familie des Verräters Seianus rund ein halbes Jahrhundert vor dem Aufstand der Bodicea unter Tiberius zu leiden hatte. In diesem Bericht erfahren wir von der kleinen Tochter von Seianus, die zu ihrer Hinrichtung geschleift wurde und damals noch eindeutig zu jung gewesen sein soll, um überhaupt zu verstehen, was dort gerade vor sich ging beziehungsweise warum. »Die Geschichtsschreiber jener Zeit berichten uns, dass der Scharfrichter das Mädchen - weil es keinen Präzedenzfall für die Ausführung der Todesstrafe an einer Jungfrau gab - bereits mit dem Strang um ihren Hals zuerst noch vergewaltigen musste.« Wesentlich später, im vierten Jahrhundert nach Christi Geburt, wurde auch jene junge Frau, die später als St. Agnes heilig gesprochen wurde, vor ihrer Hinrichtung noch vergewaltigt; aus dem einfachen Grunde, weil auch sie noch eine Jungfrau gewesen war und es als unrechtmäßig galt, ein Mädchen hinzurichten, das noch nicht seine Keuschheit verloren hatte.
    Wenn wir all dies nun zu der äußerst umfangreich dokumentierten Tatsache hinzufügen, dass die Auspeitschung ein an Aufständischen vor deren Kreuzigung routinemäßig verübtes Instrument war (Jesus Christus ist an dieser Stelle das beste Beispiel), dann besteht Grund zu der Annahme, dass die Vergewaltigung der Mädchen sowie die Auspeitschung der Bodicea keineswegs Taten von Männern waren, die die Beherrschung verloren hatten, sondern vielmehr die Einleitung der rechtmäßigen Hinrichtung einer Familie, welche man bei aufständischen Handlungen festgenommen hatte.
    Dennoch bleibt die Frage, warum die eigentliche Hinrichtung letztlich doch nicht stattfand. Dafür gibt es keinerlei Begründung, abgesehen von dem Umstand, dass Rom bei dieserart Angelegenheiten - gleichsam wie in seiner Nachfolge auch die Spanische Inquisition - äußerst penibel auf die Einhaltung der Vorgaben des Gesetzes achtete; und die Hinrichtung der Familie eines Königs war eine Sache, die keiner unter dem Stande eines Kaisers einfach so auf die leichte Schulter nahm. Ein Gouverneur mochte zwar ebenfalls die nötige Amtsgewalt besessen haben, um eine solche Hinrichtung anordnen zu dürfen, wir wissen jedoch auch, dass Paulinus zu jener Zeit anderenorts und mit dem Angriff auf Mona beschäftigt gewesen war. Somit übertrat derjenige, wer auch immer dort im Osten des Landes derart gehandelt haben mochte, mit ziemlicher Sicherheit seine Befugnisse. Und man darf mit einiger Berechtigung annehmen, dass spätestens ein höherer Offizier sich in einer solchen Situation genötigt gesehen haben wird, dagegen einzuschreiten.
    Dies sind also die schriftlich belegten historischen Hintergründe des vorliegenden Buches. Alles andere ist das Ergebnis meines Verständnisses der Ereignisse. Allein eine weitere Tatsache ist noch weitestgehend unzweifelhaft: In Colchester wurde ein Grabstein gefunden, der sich auf die Zeit des von der Bodicea angeführten Aufstands datieren lässt. Dieser Stein wurde einem Mann gewidmet, der den Namen »Longinus Sdapeze« trug und der in der Ersten Thrakischen Kavallerie gedient hatte. Sowohl der Grabstein selbst als auch dessen Inschrift entsprechen fast zur Gänze dem im Text beschriebenen Stein.
    Bei allem anderen gilt, wie immer, dass es mehr Fantasie denn Faktum ist, wenngleich ich mich bemüht habe, das Grundgerüst auf Tatsachen zu gründen oder zumindest auf das, was man aus dem vorhandenen geschichtlichen Material an gesicherten Erkenntnissen ableiten darf. Der Aufbau der Stammesgesellschaft ist beispielsweise meine eigene Idee, hervorgehend aus einer vergleichsweise unsicheren archäologischen Basis und späteren Aufzeichnungen aus dem Bereich des keltischen Irland, welches nie von Rom eingenommen worden war. Als eine der noch am verlässlichsten »Tatsachen« darf der Jahreskalender angesehen werden, dem Breaca und die ihren folgten und der auf einem in gallischer Sprache in einen Stein eingravierten Überbleibsel eines solchen Kalenders gründet. Für die Gallier gilt mit Sicherheit und, so glaube ich, auch
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