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Die Segel von Tau-Ceti

Die Segel von Tau-Ceti

Titel: Die Segel von Tau-Ceti
Autoren: Michael McCollum
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erfüllt, für andere nicht.
    Es war ein Arrangement, bei dem Auseinandersetzungen garantiert waren. Die hauptsächliche Funktion des Regierungsausschusses bestand darin, Streitigkeiten zu schlichten und die Kosten gerecht auf alle Instanzen zu verteilen. Aber er traf auch Entscheidungen, die man zumindest nach Torys Ansicht den Konstrukteuren hätte überlassen sollen.
    Tory hatte gehofft, den Grund für die unerwartete Vorladung in einer Sichtung der Protokolle der letzten Ausschusssitzungen zu finden, und hatte sie deshalb auf dem Weg zum Raumhafen quergelesen. Eile war auch deshalb geboten, weil das Implantat nicht mehr funktionieren würde, sobald die Fähre von Phobos abgelegt hatte; die Synchronisation der Breitbandverbindung ging verloren, sobald die Fähre sich außerhalb der Reichweite des Senders befand. Tory hatte den Verlust der Synchronisation einmal geübt. Auf eine Wiederholung dieses Erlebnisses konnte sie gut verzichten.
    Sie hatte schon oft versucht, Außenstehenden das Gefühl zu vermitteln, wie es war, ein Implantat zu tragen: als ob sie versucht hätte, einem Sechsjährigen Sex zu erklären. Außer einem eidetischen Gedächtnis verliehen Implantate dem Benutzer ein zusätzliches Augenpaar, das das Sehvermögen verstärkte. Als Tory auf den Starhopper- Booster schaute, sah sie mehr als nur seine physische Gestalt. Vor dem geistigen Auge vermochte sie die komplexen Rohrleitungen des Raumfahrzeugs zu visualisieren, die sich durch den Booster der ersten Stufe schlängelte. Und sie sah die unterschiedlichen Temperaturen, die sich beim Start im Raumschiff entwickeln würden. Für sie war Starhopper weniger eine Maschine denn ein lebendiges Wesen, das es kaum zu erwarten vermochte, in sein natürliches Element einzutauchen — die kalte Schwärze des interstellaren Raums.
    Tory war kein bisschen schlauer, als sie die Durchsicht der Sitzungsprotokolle beendete. In der Gewissheit, dass sie zumindest nichts getan — oder unterlassen — hatte, um eine Krise auszulösen, brachte sie das Implantat zum Schweigen, lehnte sich zurück und beschloss, den Flug zu genießen.
    Das Shuttle hob mit feuernden Steuertriebwerken von PhobosPort ab. Nachdem sie die innere Verkehrszone von Phobos verlassen hatten, drehte der Pilot das Schiff, bis die Nase rückwärts in die Umlaufbahn wies, die das Shuttle sich mit dem Mond teilte. Sekunden später sprangen die Triebwerke an, und Tory hatte das Gefühl, dass eine Hand sie sanft in den Sitz drückte. Nach der ersten Zündung der Bremsraketen drehte der Pilot das Schiff, um den Passagieren einen Panoramablick auf den Mars zu bieten.
    Obwohl der Rote Planet nur die Hälfte des Erddurchmessers hatte, war er trotzdem groß. Phobos war einmal ein vagabundierender Asteroid gewesen. Nachdem er vom Mars eingefangen worden war - ein Ereignis, über das die Astronomen noch immer diskutierten —, hatte der kleine Mond sich in einer Umlaufbahn sechstausend Kilometer über dem rostroten Sand stabilisiert.
    Es war fast zwei Jahrhunderte her, seit die ersten Menschen ihren Fuß auf den Mars gesetzt hatten und dort gestorben waren — und anderthalb Jahrhunderte seit der Gründung der ersten Marskolonie. Die Menschheit hatte aber immer noch ein gutes Stück zu gehen, bevor sie den Planeten zu besiedeln vermochte. Denn trotz der geringeren Größe hatte der Mars wegen der fehlenden Meere eine fast so große Landmasse wie die Erde. Auf dem roten Planeten lebten 250 Millionen Seelen im Vergleich zu den zehn Milliarden, die die Erde bevölkerten.
    Zwanzig Minuten nach dem Start von Phobos bemerkte Tory einen kreisrunden Schatten, der sich vom Sonnenaufgangs-Terminator löste und übers Hochland von Tharsis hinwegflog. Sie runzelte die Stirn. Phobos war zwar nah genug, um einen Schatten auf den Mars zu werfen, stand aber in der falschen Position für diesen Schatten. Und Deimos war wiederum zu klein und zu weit entfernt, um überhaupt einen Schatten auf die Marslandschaft zu werfen.
    Nachdem sie diese beiden Möglichkeiten ausgeschlossen hatte, verspürte Tory den Nervenkitzel eines neu entdeckten Geheimnisses. Sie beobachtete den Schatten für ein paar Sekunden, bis ein Funken reflektierten Sonnenlichts ihre Aufmerksamkeit erregte. Und dann brach die Erkenntnis über sie herein wie die statischen Entladungen, die den Marshimmel bei den sommerlichen Staubstürmen illuminierten. Die Ursache für die Reflexion war, dass Sonnenlicht von einem Lichtsegel reflektiert wurde, das in einer tieferen
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