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Die Séance

Die Séance

Titel: Die Séance
Autoren: Heather Graham
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essen, hier drin? Nichts für ihn.
    Heute Morgen waren es Donuts für die anderen, aber er hatte sogar den Kaffee abgelehnt. Er war nie bei einer Autopsie ohnmächtig geworden, nicht mal als blutiger Anfänger bei der Mordkommission, und er wollte nicht ausgerechnet heute damit anfangen.
    Auch eine frische Leiche riecht. Der Körper – jeder Körper – setzt bei Eintritt des Todes Gase frei. Und wenn es eine Weile gedauert hat, bis jemand die Leiche findet, egal ob es nun ein natürlicher Tod, ein Selbstmord oder ein gewaltsamer Tod gewesen ist, die Bakterien und der allgemeine Vorgang der Verwesung richten Verheerendes am Geruchssinn der Lebenden an.
    Aber manchmal dachte er, die schlimmsten Gerüche von allen sind jene, die nun einmal Begleitumstand des Sicherns von Beweismitteln waren: Formaldehyd und andere Präservatoren für alle möglichen Stoffe, und die schweren Adstringenzien, die man benutzt, um die Spuren von Tod und Verwesung zu kaschieren. Manche Gerichtsmediziner und ihre Assistenten trugen Masken oder sogar Atemschutzgeräte. Und seit die Nation prozessverrückt geworden war, waren diese Dinger in einigen Gerichtsbezirken sogar zwingend vorgeschrieben.
    Nicht so Doc Martin. Er war schon immer der Ansicht gewesen, die Gerüche, die in Zusammenhang mit dem Tod entstehen, seien ein wichtiges Hilfsmittel. Er gehörte zu jenen fünfzig Prozent aller Menschen, die Zyanid riechen können. Außerdem war er ein Pedant; er hasste es, wenn eine Leiche exhumiert werden musste, weil beim ersten Mal irgendetwas falsch gemacht oder übersehen worden war.
    Es gab keinen besseren Arzt, den man in einem Mordfall auf seiner Seite haben konnte.
    Wann immer ein Todesfall verdächtig erschien, musste es eine Autopsie geben, und das schien immer die letzte, die ultimative Verletzung zu sein. Alles, was einmal zu einem lebendigen Menschen gehört, dessen Seele beherbergt hatte, wurde nicht nur nackt auf einem Stahltisch ausgebreitet, sondern aufgeschnitten, sämtlichen Innereien entledigt und akribisch untersucht.
    Wenigstens war bei Margaritte keine Autopsie notwendig gewesen. Sie war vollgepumpt mit Morphinen, und am Ende hatten sich ihre Augen noch einmal geöffnet und in die seinen geblickt; sich dann für immer geschlossen. Ihre Brust hatte sich mit einem Flattern erhoben, dann war sie in seinen Armen gestorben. Sie sah aus, als würde sie nur schlafen, aber er wusste, dass sie nun endlich Frieden gefunden hatte.
    Doc Martin sprach Uhrzeit und Datum in seinen Rekorder, schaltete das Gerät für einen Augenblick ab und starrte ihn an.
    Allerdings sprach er nicht Jed direkt an. Er sprach zu Jerry Dwyer, neben ihm.
    “Lieutenant. Was macht der denn hier?”
    Jed stöhnte innerlich.
    “Doc …”, murmelte Jerry unbehaglich. “Ich glaube, es ist sein … Gewissen.”
    Der Gerichtsmediziner hob die buschigen Augenbrauen. “Aber er ist doch kein Cop mehr. Er ist ein Schreiberling.”
    Er schaffte es, das Wort Schreiberling so auszusprechen, als wäre das ein anderes Wort für Drecksack.
    Wieso auch nicht, dachte Jed. Er fühlte sich heute Morgen tatsächlich ein bisschen wie ein Drecksack.
    Doc Martin schnüffelte. “Früher, da war er mal ein Cop. Sogar ein guter”, gab er muffig zu.
    “Ja, also, dann geben Sie ihm doch ‘ne Chance”, meinte Jerry Dwyer. “Er hat immerhin eine Lizenz als Privatdetektiv. Er ist durchaus berechtigt, hier zu sein.”
    Diesmal gab Martin einen skeptischen Laut von sich, der ganz hinten aus seiner Kehle kam. “Ja, er hat diese Lizenz, damit er seine Nase in die Angelegenheiten anderer Leute stecken kann – um dann darüber zu schreiben. Arbeitet er etwa im Auftrag des toten Mädchens? Kennt er ihre Familie? Das bezweifele ich.”
    “Vielleicht möchte ich nur, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt”, sagte Jed ruhig. “Vielleicht haben wir vor zwölf Jahren ja alle falsch gelegen.”
    “Vielleicht haben wir auch einfach nur einen Nachahmungstäter”, sagte Martin.
    “Vielleicht haben wir damals aber schlichtweg den Falschen geschnappt.”
    “Technisch gesehen haben wir niemanden geschnappt, also wenn man’s genau nimmt”, rief Jerry ihnen die unbehaglichen Details ins Gedächtnis.
    “Und Sie würden sich heute wie ein Häuflein Elend fühlen, weil Sie es so hingestellt haben, als ob der Cop, der damals erschossen wurde, schuldig wie die Sünde war”, sagte Doc Martin zu Jed.
    “Ja, falls das der Fall sein sollte, dann fühle ich mich tatsächlich wie ein Haufen Scheiße”,
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