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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester
Autoren: Sandor Marai
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ältlich, murmelnd, gut gelaunt. Ich hörte ihm
ebenso gut gelaunt und zuversichtlich zu.
    Jetzt sagte er unbeholfen: »Ins Licht wie die Käfer.« Er trocknete
sich mit dem dicken Handtuch die Hände ab.
    Â»Nicht das schlechteste Ende.« Ich lächelte ebenfalls.
    Ich bereitete mich mit einer Art Stolz auf diese Untersuchung vor,
wie ein guter Schüler, der weiß, dass er fleißig gebüffelt hat und sich in der
schweren Prüfung behaupten wird. Ich fühlte mich vollkommen gesund und dachte
nicht daran, dass derjenige, der sich so sehr gesund fühlt und so genau weiß,
dass er gesund ist, sich vielleicht noch nicht völlig von der Krankheit
verabschiedet hat.
    Ich dachte an nichts anderes als daran, dass am Sonnabendnachmittag
eine Maschine mit mir über das Meer nach Athen fliegen würde. Der Unterarzt und
die Schwestern kamen. Der Professor klopfte wie ein Dirigent leise mit dem
Stethoskop auf das Seitenteil meines Bettes.
    Â»Wir können beginnen«, sagte er.
    Sie untersuchten mich auf die gewohnte Weise, und ich eilte ihnen
mit der Bereitwilligkeit des geübten, ausgelernten Kranken zu Hilfe. Schon oft
hatten sie mich so untersucht, in diesem Zimmer, in beinahe hoffnungsloser
Lage. Jetzt empfand ich eine unbeholfene Überlegenheit, weil die Untersuchung
großartig voranging, der Körper antwortete auf jede Frage des Professors,
gehorsam, geübt, als führte er eine Turnübung aus. Großartig, sagte der
Professor, und der Unterarzt brummelte anerkennend; großartig, sagten sie, und
wie dem hervorragenden Schüler in der großen Prüfung – dem Schüler, von dessen
Fähigkeiten die Prüfer ohnehin das Beste halten – stellten sie nur
nebensächliche, symbolische Fragen. Der Körper antwortete auf alle Fragen, und
die Antwort, die vor wenigen Wochen noch hoffnungslos schien, gaben nach
Aufforderung des Professors auch Gesicht, Arme und Beine. Sie prüften mich mit
Eis und Reagenzgläsern, mit kochendem Wasser, mit dem stumpfen Ende und mit der
Spitze der Untersuchungsnadel, ich antwortete mit Ja und Nein, immer fehlerlos.
Perfekt, sagte der Professor. Ich ging mit geschlossenen Augen ebenso sicher
und zielbewusst wie ein Sehender, der Professor hob meine rechte Hand hoch und
sagte: »Nun, wir können stolz sein.« Wieder lächelte er mild und spöttisch. »Nicht
wahr?«, fragte er den Unterarzt und betonte wichtigtuerisch, wie überflüssig
diese Untersuchung sei, wirklich nur eine Sache der Form und des höflichen
Interesses. »Nicht wahr?«, fragte er die Schwestern.
    Aber die Schwestern und der Unterarzt schwiegen. Sie schwiegen
diszipliniert, ohne Anteil nehmende Zustimmung oder Ablehnung, wie Soldaten,
die in Gegenwart ihres Vorgesetzten nie die Stimme erheben.
    Â»Diese Hand«, sagte der Professor und hob meine Rechte mit zwei
Fingern an wie einen Gegenstand, »die der Welt so viel Genuss verschafft hat.
Wer kann das verstehen? Eine Hand wie jede andere.«
    So sprach er, nachsichtig und spöttisch. Aber jetzt sah ich, dass er
beobachtete. Dass er meine Hand beobachtete. In seinen blauen Augen blitzte ein
Licht auf, das ein Zeichen gab, dass er, während er so überlegen und zufrieden
sprach, gleichzeitig beobachtete und verlegen war, als spräche er von etwas
anderem. Jetzt folgte eines der gewohnten Kunststücke. Er bat mich, die Finger
der rechten Hand zu spreizen und so zu verharren. Mit zurückgelegtem Kopf und
sehr aufmerksam sah er auf meine erhobene Rechte, die Augenlider halb
geschlossen.
    Â»Danke«, sagte er leise. Er nahm die Brille ab und putzte die
Gläser.
    Einige Augenblicke, die mir lang erschienen, blieben wir so: wortlos
und starr. Der Professor, die Brille in der Hand, mit gesenktem Kopf, der
Unterarzt und die Schwestern in einer Art fachlicher Reglosigkeit, wartend, und
ich so unbeholfen, mit erhobener rechter Hand und gespreizten Fingern.
    Â»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich dann und versteckte die Hand
verlegen hinter dem Rücken.
    Die Schwestern räumten die Instrumente ein. Der Unterarzt ging zum
Fenster und sah auf die Brandmauer. Der Professor beendete die Reinigung seiner
Brille. Er setzte sie sich auf die Nase und blinzelte mich mit seitlich
geneigtem Kopf zerstreut an, als hörte er einen Gemeinplatz, auf den es sich
nicht zu antworten lohne.
    Â»Wie bitte?«, fragte er beiläufig. »Natürlich, alles vollkommen in
Ordnung.
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