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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Autoren: Philippa Gregory
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meine kleine Catherine unter ihnen, gingen hinter ihr.
    Ich stand in der Menge, ganz hinten, auf dem Tower Green. Von weitem sah ich, wie sie herauskam, eine kleine Gestalt in einem schwarzen Gewand mit einem dunklen Umhang. Sie nahm ihre französische Haube ab. Das Haar darunter war von einem Haarnetz umgeben. Sie sagte ihre letzten Worte. Ich konnte sie nicht hören, und es war mir auch gleichgültig. Es war alles Unsinn, ein Maskenspiel, so bedeutungslos wie damals, als der König Robin Hood spielte und wir in grünen Gewändern als Dorfleute verkleidet waren. Ich wartete darauf, daß das Wassertor aufgezogen wurde und die Barke des Königs mit Trommelschlag und wirbelnden Ruderblättern hereinschnellte, daß der König nach vorn schreiten und Anne begnadigen würde.
    Ich dachte, er hätte den Henker angewiesen, so lange zu warten, bis er die Fanfaren vom Fluß hörte. Es war typisch für Henry, daß er die Dramatik dieses Augenblicks bis zum letzten auskosten wollte. Nun mußten wir alle auf seinen großen Auftritt warten und auf seine Begnadigungsrede, und dann konnte Anne nach Frankreich reisen, und ich konnte meine Tochter holen und nach Hause reiten.
    Ich sah, wie Anne sich zu einem letzten Gebet zum Priester wandte und ihre Halskette abnahm. Unter meinen langen Ärmeln trommelte ich ungeduldig mit den Fingern, erzürnt über Annes Eitelkeit und Henrys Verspätung. Warum konnten die |688| beiden diese Szene nicht endlich zu Ende bringen und uns alle gehen lassen?
    Eine der Frauen, nicht meine Tochter Catherine, trat vor und verband meiner Schwester die Augen. Dann hielt sie ihr den Arm, während sie sich auf das Stroh kniete. Die Frau trat zurück, Anne war allein. Nun kniete sich auch die Menge rings um das Schafott hin. Nur ich stand reglos da, starrte über ihre Köpfe hinweg auf meine Schwester, die da in ihrem schwarzen Gewand mit dem tapferen scharlachroten Rock kniete, die Augen verbunden, mit bleichem Gesicht.
    Hinter ihr hob der Henker sein Schwert hoch und höher und höher ins Morgenlicht. Sogar jetzt noch schaute ich zum Wassertor, ob Henry nicht käme. Dann sauste die Klinge blitzschnell nieder, und Annes Kopf war vom Leib getrennt. Die langen Jahre der Rivalität zwischen mir und dem anderen Boleyn-Mädchen waren zu Ende.
    William schob mich ohne viel Federlesens in eine der Nischen in der Mauer und bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich drängelte zuzusehen, wie Annes Leichnam in Leinen gewickelt und in einen Sarg gelegt wurde. Er hob Catherine auf den Arm, als sei sie kaum mehr als ein Säugling, und trug sie durch die schockiert einherredenden Menschen zu mir.
    »Es ist vorbei«, sagte er knapp. »Jetzt geht.«
    Wütend drängte er uns vor sich her, durch das Tor und hinaus in die Stadt. Wie Traumwandler fanden wir in unsere Unterkunft zurück, durch die Menge, die um den Tower wogte und die Nachricht verbreitete, daß die Hure geköpft sei, daß die arme Dame den Märtyrertod erlitten hätte, daß eine gute Ehefrau geopfert worden sei, je nachdem, wie man die verschiedenen Rollen sah, die Anne in ihrem verfehlten Leben gespielt hatte.
    Catherine strauchelte, die Beine versagten ihr den Dienst. William nahm sie wieder auf die Arme und trug sie wie ein Wickelkind. Ich sah, daß sie den Kopf an seine Schulter gelegt hatte, und begriff, daß sie wohl schlief. Sie hatte tagelang mit meiner Schwester gewacht, während sie auf den Gnadenerlaß |689| warteten, den man ihnen hochheilig versprochen hatte. Sogar jetzt, als ich über die Pflastersteine der Londoner Straße stolperte, konnte ich kaum fassen, daß Anne nicht begnadigt worden war, daß der Mann, den ich einst als den goldenen Prinzen der Christenheit geliebt hatte, ein solches Ungeheuer geworden war, sein Wort gebrochen und seine Frau getötet hatte, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, daß sie ohne ihn leben und ihn verachten könnte. Er hatte mir George, meinen geliebten Bruder, genommen. Und er hatte mir mein anderes Ich geraubt: Anne.
     
    Catherine schlief einen ganzen Tag und eine Nacht. Als sie aufwachte, hatte William die Pferde bereit, und sie saß im Sattel, ehe sie etwas dagegen vorbringen konnte. Wir ritten zum Fluß und nahmen ein Schiff flußabwärts nach Leigh. Sie saß an Bord, Henry neben ihr. Ich hielt die Kleine auf dem Arm, wachte über meine beiden älteren Kinder und dankte Gott, daß wir die Stadt hinter uns gelassen hatten und man uns, wenn uns das Glück hold war und wir uns klug verhielten, in der
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