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Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Autoren: Patti Callahan Henry
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Rasens mein Baumwollkleid durchdrang, dass überall an meinen Beinen abgemähte Grashalme klebten. Der Geruch von Erde und frisch geschnittener Kiefer wehte mir in die Nase, vermischt mit dem klebrigen Geruch einer Gardenie. Der Vogel und ich starrten einander an, vereint in Verwirrung und Schock. Wow, schienen wir zu denken, so was ist uns ja noch nie passiert.
    »Kann ich helfen?«, fragte ich den Vogel. Er starrte nur zurück. Ich erinnerte mich, dass man einen Vogel angeblich nie anfassen soll, weil die anderen Vögel ihn dann meiden würden. Das erinnerte mich immer an Der scharlachrote Buchstabe , wo die Protagonistin erst berührt, dann verstoßen wurde.
    »Also«, sagte ich zu dem Vogel, »ich werde dich nicht anfassen.« Er wirkte erleichtert. »Lass dir Zeit, damit du wieder einen klaren Kopf bekommst.«
    Ich betrachtete den Vogel genau, nie zuvor war ich einem kleinen wilden Tier so nah gewesen. Ich wusste, dass die männlichen Kardinäle leuchtendrot gefiedert waren, die Weibchen eher braun, mit rotem Federschopf und Schwanz. Auf der rechten Seite des Vogels standen ein paar Federn ab, ich hätte sie gerne glatt gestrichen.Zwei rote Federn und eine braune steckten deplatziert im Gras, der Vogel sah sie an, als wüsste er, dass sie einmal zu ihm gehört hatten.
    Bei genauem Hinsehen wirkte der Flügel unversehrt. Die Vogelaugen schimmerten abgrundtief.
    Ich wartete.
    Ich weiß nicht, wie lange der Vogel und ich uns auf dem feuchten Rasen beäugten, ab und zu blinzelten und über die merkwürdige Situation nachsannen. Jedenfalls klingelte irgendwann im Haus das Telefon. Ich war schon fast in der Küche, als der Anruf zu meinem Handy weitergeleitet wurde.
    Ich schnappte mir das Telefon vom Küchentisch. »Hallo.«
    »Du gehst nie ans Festnetz. Warum gehst du nie ans Festnetz?« Mein Dad, mit lauter und gepresster Stimme.
    »Ich war draußen«, sagte ich. »Was ist passiert? Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Deine Mutter –« Seine Stimme brach ab wie ein Zweig in einem tosenden Sturm. Die Küche schien sich vor meinen Augen in ein Puzzle aufzuteilen und zu zerfallen. Ich griff nach der Lehne eines Küchenstuhls, verfehlte und stolperte rückwärts gegen die Kante der Arbeitsfläche.
    »Was, Dad? Was ist mit Mutter?«
    Ich wollte hören, dass er über sie nörgelte: Mutter ist schon wieder einkaufen gefahren; Mutter ist böse, weil ich nicht zum Sonntagsessen komme; Mutter will schon wieder Leute zum Dinner einladen, und Dad will, dass ich ihr das ausrede. Eine Beschwerde.
    Bitte lass es eine Beschwerde sein.
    »Ich habe sie gefunden, Ellie. In unserem Bett. Ich habe sie gefunden. Mein Gott, warum musste ich sie finden?«
    Ich stellte keine weitere Frage, manchmal fragt man lieber nicht, wenn man die Antwort nicht hören will.
    »Bist du noch dran? Hörst du mich?« Dads Stimme dröhnte aus dem Hörer.
    »Ja«, sagte ich.
    »Sie ist tot, Ellie. Deine Mutter ist tot.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich, weil ich es tatsächlich wusste. Ich hatte es gewusst, sobald ich seine Stimme gehört hatte. Vielleicht hatte ich es schon gewusst, als der Vogel gegen das Fenster geflogen war. Jedenfalls wusste ich es.
    »Ich bin auf dem Weg.« Dann legte ich auf.
    Rusty kam in frisch gebügelter Khakihose und weißem Hemd in die Küche, in der Hand den AJC -Artikel über die Ausstellung. Das Foto von Mutter, Lil und mir auf der Seite sprang mich an, verhöhnte mich dafür, dass ich vor zwölf Stunden noch geglaubt hatte, alles sei gut.
    »Schöner Artikel«, sagte Rusty. »Haben sie gut gemacht.« Dann warf er die Zeitung in den Eimer für das Altpapier.
    Ich starrte meinen Mann an, als würde ich ihn nicht kennen, als wäre ein Fremder in meine Küche marschiert und hätte mit mir gesprochen.
    Er zuckte auf so eine »Was ist?«-Weise die Schultern.
    »Mutter ist gestorben«, sagte ich in demselben Ton, als würde ich sagen: »Möchtest du Rührei?«
    Da kam er auf mich zu und zog mich an sich. »Oh, Ellie.«
    Ich zuckte zurück, ging zum Altpapier und zog meinen Artikel heraus. »Den wollte ich für sie rahmen.«
    Er wand sich vor Unbehagen.
    Ich warf die Zeitung wieder in den Eimer. »Ist wohl zu spät.«
    Er streckte die Hand nach mir aus, aber ich wehrte ab. »Ich muss zu Dad.«
    »Ich komme mit«, sagte er und nahm die Autoschlüssel vom Tisch.
    Der Tag fühlte sich länger an als jeder andere zuvor in meinem Leben, als würden alle schlechten Tage sich zu einem einzigen zusammenziehen. Als ich am Abend nach Hause kam,
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