Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Autoren: Patti Callahan Henry
Vom Netzwerk:
ging ich gleich hinaus in den Garten, um nach dem Roten Kardinal zu sehen, gegen alle Wahrscheinlichkeit hoffend, er wäre weggeflogen.
    Auf dem Gras lag der tote Vogel, ein kleiner roter Punkt. Ich weinte.
    Rusty fand mich schließlich auf dem Rasen liegen. Er half mir auf und führte mich ins Haus, wobei er beruhigend auf mich einsprach wie auf ein untröstliches Kind. An die Tage zwischen diesem Augenblick und der Beerdigung erinnere ich mich nur noch mit verschwommener Müdigkeit. Ich tat, was getan werden musste, um Abschied zu nehmen.
    Obwohl ich wusste, dass ich nie ganz von meiner Mutter würde Abschied nehmen können.
    haben.«

D REI
    A ls eine Woche nach der Beerdigung mein Handy klingelte und der Name Hutch O’Brian auf dem Display erschien, starrte ich erst einmal nur darauf. Mir war, als würde sich eine Erscheinung in meiner Küche und in meinem Leben niederlassen. Was ja irgendwie auch der Fall war.
    Ich ging nicht dran und wartete zwei ganze Stunden, bevor ich die Nachricht abhörte.
    »Hey, Ellie, hoffentlich geht es dir und deiner Familie gut. Ich will dich wirklich nicht unter Druck setzen mit dem Gespräch über deine Mutter, ich weiß ja, dass du trauerst, aber die Deadline für die Ausstellung kommt immer näher. Ich brauche bloß noch ein paar letzte Antworten. Wenn es irgendwie geht, würdest du mich zurückrufen?«
    Er hatte seine private Handynummer hinterlassen, ich kritzelte sie auf einen Papierschnipsel, den ich sauber zusammenfaltete und in die Seitentasche meines Portemonnaies steckte.
    Ich stand einbeinig auf einem Drahtseil zwischen zwei Entscheidungen – ihn anrufen oder ihn nicht anrufen –, fand das Gleichgewicht nicht und war sicher, in Erinnerungen abzustürzen. Jeder Mensch hat seine eigene Liebesgeschichte. Ich komme mir nicht besser oder besonders vor, weil Hutch und ich eine miteinander hatten. Das ist eben meine Geschichte.
    Wir hatten uns ganz normal kennengelernt, wie sich viele Leute um die zwanzig eben kennenlernen – mitFreunden in einer Kneipe. Nichts daran ist ungewöhnlich oder besonders. Aber in dem Moment war alles anders – wie mein Lächeln unsicher wurde, wie ich die Narbe auf seinem Gesicht berühren wollte, wie die Zeit sich um uns herum dehnte und ausstreckte.
    Die Bar, die Freunde und der Lärm um uns herum rückten in weite Ferne, bis nur noch der Mann übrig war, den ich vor mir stehen sah. Sadie war dazugekommen und brüllte über die Band und den Lärm hinweg: »Ich gehe jetzt.« Ich nickte ihr zu, als würde ich sie nicht kennen, als wäre sie nicht meine Mitbewohnerin, mit der ich eigentlich zurück ins Studentenwohnheim fahren sollte.
    Schließlich streckte ich die Hand aus und berührte seine Wange. »Diese Narbe – wie ist das passiert?«
    Er legte seine Hand auf meine. »Ein Hundebiss. Ich war zehn.«
    »Oh«, sagte ich.
    Mit seiner Hand auf meiner zog er mich zu sich heran, meinen Mund auf seinen zu unserem ersten Kuss.
    Drei Tage nach seiner Nachricht griff ich zum Telefon und wählte die inzwischen zerknitterte Nummer. Ich saß auf der Veranda hinter dem Haus und stierte auf den Pool, in dem schon seit fast einem Jahr niemand mehr geschwommen war. Es klingelte und klingelte, bis ich sicher war, dass gleich die Mailbox angehen würde, aber dann erklang seine atemlose Stimme.
    »Hallo«, sagte er.
    »Hi, Hutch. Hier ist Ellie Calvin. Passt es gerade schlecht?«
    Er lachte, ein irgendwie tiefer und gleichzeitig melodischer Klang. »Nein, es passt gut. Ich komme nur von draußenreingerannt. Meine verdammten Tomaten sind von Baumwollkapselkäfern oder Läusen oder so was befallen.«
    »Wahrscheinlich Läuse«, sagte ich. »Baumwollkapselkäfer essen nur Baumwolle.«
    Sein Lachen rollte durch meinen Körper. »Danke für den Rückruf. Ehrlich gesagt habe ich nicht mehr daran geglaubt.«
    »Na, jetzt bin ich ja dran, aber ich denke nicht, dass ich viel weiterhelfen kann.«
    »Ich erzähle dir mal, was ich mache, vielleicht ergibt dann alles mehr Sinn. Die Ausstellung zeigt zehn Frauen, die in den Sechzigern ›Atlanta Woman of the Year‹ waren. Deine Mutter wurde natürlich für ihre wohltätigen Aktivitäten ausgezeichnet, aber nachdem ich die alten Sitzungsprotokolle gelesen habe, glaube ich, dass ihr Einsatz für die Bürgerrechte 1961 den Ausschlag gegeben hat. Ich weiß, dass sie erst 1968 ausgezeichnet wurde, aber zumindest teilweise wegen ihrer Arbeit 1961. Nur scheint niemand mir genau sagen zu können, was sie damals eigentlich gemacht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher