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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen
Autoren: Barbara Wood
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    Es waren Rachegedanken, die Macus Herz erfüllten. Er musste das Mädchen ausfindig machen, das seinen Bruder gedemütigt hatte.
    Unter dem Vorwand, sie könnte durchaus als Braut für ihn in Frage kommen, erkundigte er sich im Dorf nach Tonina und erfuhr, dass sie am Strand der westlichen Lagune anzutreffen sei, dort, wo die Perlentaucherinnen ihren täglichen Austernfang einholten.
    Sein Bruder, der sich jetzt mit dem gemeinsamen Kanu auf der anderen Seite der Insel verbarg, hatte versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Es sei schlimm genug, dass ein einfaches Mädchen ihn bei einem Schwimmwettbewerb besiegt hätte; Macus Racheplan würde alles nur noch schlimmer machen. »Sie schwimmt eindeutig besser als wir«, hatte er gesagt. »Du kannst sie nicht schlagen, Bruder.« Aber der zweiundzwanzigjährige Macu von der nahe gelegenen Halbmondinsel war stolz und voller Dünkel und verachtete Mädchen, die sich anmaßten, den Männern überlegen zu sein.
    Die Perleninsel war ein kleiner grüner Punkt im türkisfarbenen Meer jenseits der Westspitze einer Landmasse, die später einmal Kuba genannt werden sollte. Sie verfügte über lediglich zwei zugängliche Häfen: die westliche Lagune und eine Bucht an der nördlichen Spitze, wohin Macu und seine Freunde, felsigen Untiefen ausweichend, mit ihrem Kanu gepaddelt und schließlich an einem schmalen Strand gelandet waren. Von dort aus führte ein Pfad durch dichte Bäume und Sträucher in ein betriebsames Dorf, in dem Kinder herumtobten, Frauen mit Kochtöpfen hantierten und Männer in den zahlreichen Schuppen, in denen Tabak getrocknet wurde, ihrem Tagewerk nachgingen.
    Eine kleine Gruppe Neugieriger folgte Macu durch die Siedlung und hinunter zum Strand. Er achtete nicht auf das Geplapper um ihn herum, war, die Hände zu Fäusten geballt, erfüllt von dem Gedanken an Rache. Derart zielstrebig schritt er über den heißen weißen Sand, dass Reiher und Pelikane vor ihm die Flucht ergriffen und Männer verdutzt von ihren Ausbesserungsarbeiten an Kanus und Fischernetzen aufblickten. Nackte Kinder, die in dem ruhigen, warmen Wasser der friedlichen Lagune nach Muscheln gruben, sahen gespannt dem Fremden nach.
    Macu war dunkelbraun, untersetzt und muskulös, sein fast nackter, von Narben übersäter Körper mit unzähligen Symbolen und Verzierungen bemalt. Sein langes schwarzes Haar, das ihm offen auf die Schulter fiel, wies ihn als unverheiratet aus, und außer einem aus Palmfasern gewebten Lendenschurz trug er zahlreiche Halsketten und Schutz verheißende Amulette. Dass er ein Fremder war, verdeutlichte die seinem Clan eigene Tätowierung auf der Stirn. Die Gruppe, die unter der warmen Tropensonne über den breiten Sandstreifen zwischen der limonengrünen Lagune und dem üppigen Dschungel landeinwärts hinter ihm her trottete, bestand aus den jungen Männern, die ihn von der Halbmondinsel begleitet hatten, sowie aus ein paar Dorfbewohnern, die ihre Arbeit unterbrochen hatten, weil sie ahnten, dass dieser Nachmittag mit einer willkommenen Zerstreuung aufwarten würde.
    Kein Mann hatte sich je für die arme, unscheinbare Tonina interessiert.
    Die Perlentaucherinnen hatten sich am Ende der Bucht, wo eine Felsklippe aus dem Meer ragte, versammelt. Die noch vom Meerwasser nassen dunkelbraunen Körper der zwölf- bis dreiundzwanzig Jahre alten Mädchen glänzten, und während sie die mit Austern gefüllten Netze aus ihren Kanus luden und die Muscheln auf den kühlen Sand unter schattigen Kokospalmen häuften, wurde gelacht und gescherzt. Obwohl Macu das Mädchen, das herauszufordern er gekommen war, noch nie gesehen hatte, erkannte er sie sofort. »Schön ist sie nicht«, hatte sein Bruder gesagt, so als wäre eine Niederlage, die ihm ein hübsches Mädchen beigebracht hätte, weniger beschämend. »Sie hat, ehrlich gesagt, nichts Anziehendes an sich.« Er hatte sie so genau beschrieben, dass Macus Blick sofort auf das Mädchen im Grasrock fiel, das Tonina hieß.
    Sein Bruder hatte recht. Obwohl Tonina ihr langes Haar, das mit vielen Muscheln und einigen Perlen durchwoben war, die bei jeder Bewegung leise klimperten, offen trug und ihr Gesicht und die Arme mit unzähligen weißen Symbolen und Zeichen bemalt waren, sah sie nach Macus Geschmack keineswegs reizvoll aus. Kein Wunder, dass sie noch nicht verheiratet war. Alles an Tonina ließ zu wünschen übrig. Außer ihrer viel zu hellen Hautfarbe waren ihre Hüften sowie ihre Taille zu schmal, und bei allen Göttern!, Awak
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