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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen
Autoren: Barbara Wood
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hatte nicht übertrieben: Das Mädchen war ungewöhnlich groß. Hätte Macu nicht ihre vom Tauchen noch mit Wasser benetzten goldfarbenen Brüste gesehen, hätte er sie für einen Mann gehalten.
    Er verbarg seinen Zorn, damit sie nicht merkte, was er vorhatte, ging auf die Mädchen zu, hob die Hand wie zu einem freundlichen Gruß und rief: »Hallo!«
    Die Mädchen fuhren herum. Als sie den gut aussehenden jungen Mann erblickten, setzten sie sich unwillkürlich sofort in Positur.
    Tonina beachtete ihn zunächst nicht – noch nie hatte sich ein junger Mann für sie interessiert –, bis sie zu ihrem Erstaunen feststellte, dass das charmante Lächeln und die aufreizenden Blicke ihr galten. Sie hatte keine Ahnung, dass er der Bruder des Jünglings war, dem sie Tage zuvor davongeschwommen war – ebenso wenig wie sie wusste, dass sie ihn dadurch gedemütigt hatte.
    Macu musterte das hochgewachsene, aber ansonsten nichtssagende Mädchen. Es war sein Plan, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und ihr dann, wenn er sie besiegt hatte, stolzgeschwellt zu verkünden, dass er es für Awak getan habe.
    Der Plan bedeutete jedoch auch, den Geist eines uralten Meeresungeheuers herauszufordern.
    Auf allen umliegenden Inseln kannte man die Legende von der Bestie, die an einer verbotenen Stelle in der Lagune der Perleninsel, unweit der Öffnung im Riff, wo das ruhige Gewässer auf das raue Meer traf, schlief. Man erzählte sich, dass dort das Skelett eines riesigen Seeungeheuers auf dem Meeresboden lag und dass der Geist des Monsters das Gewässer unsicher machte. Wenn die Männer von der Perleninsel mit ihren Kanus durch das Riff und über die Knochen des Untiers paddelten, gossen sie Kassavewein ins Wasser und baten das Monster, sie unbehelligt passieren zu lassen.
    Dort zu schwimmen hatte noch niemand gewagt.
    Weil Macu nicht hier aufgewachsen war, fühlte er sich gegen die Angst vor dem Geist des Meeresungeheuers gefeit. Tonina dagegen kannte bestimmt allerlei Geschichten, die sich um diesen Geist rankten, und würde sich deshalb hüten, schwimmend in dessen Revier einzudringen. In der warmen Nachmittagssonne, während Passatwinde durch die sich wiegenden Palmen strichen und Möwen am Himmel kreisten, begann Macu mit seinem Täuschungsmanöver.
    »Bist du die, die man Tonina nennt?«, fragte er.
    Nicht gewohnt, dass ihr ein Mann Aufmerksamkeit schenkte, lächelte Tonina verschämt. Junge Burschen hatten nichts für Mädchen übrig, die größer waren als sie selbst, aber da Macu genauso groß war wie sie, nahm sie an, dass ihn das nicht störte.
    Mit wachsender Neugier scharten sich die Perlentaucherinnen um die beiden. Macu nannte Tonina seinen Namen, um sich dann großspurig über seine Geschicklichkeit und seine Erfolge beim Speerfischen auszulassen, ein Verhalten, das als Auftakt einer Brautwerbung üblich war. Bei allem, was er vorbrachte, übertrieb er maßlos – und legte damit wohlbedacht seine Falle aus, wusste er doch, dass das Ritual der Brautsuche auf der Insel vorsah, dass alle Bewerber ihre Fähigkeiten letztendlich unter Beweis stellen mussten.
    Er bedachte Tonina mit einem Lächeln und fragte sie dann: »Bringst du den Mut auf, mit mir zu der Stelle zu schwimmen, an der es spukt, und nach einem Knochen des Monsters zu tauchen?«

    »Guama! Da ist ein junger Mann von der Halbmondinsel. Er interessiert sich für Tonina!«
    Toninas Großmutter, die in einem der Schuppen, in denen der Tabak trocknete, Blätter zu Zigarren rollte, hob erschrocken den Kopf. »Was? Ein junger Mann? Bist du sicher?«
    »Sie sind in der Bucht. Und er fordert sie zu einem Wettkampf heraus!«
    Guama blinzelte. Ein Jüngling, der sich für ihre Enkelin interessierte? Tonina war einundzwanzig und noch immer nicht verheiratet. Jedes Frühjahr kamen junge und auch ältere Männer von anderen Inseln auf der Suche nach einer Braut auf die Perleninsel, aber Tonina hatte bislang keiner von ihnen beachtet. War das Unerwartete schließlich doch noch eingetreten? Dass ein junger Mann Tonina begehrte ?
    Möge dem so sein, hoffte Guama inbrünstig. Das Mädchen musste unbedingt heiraten, was sonst hatte sie denn vom Leben zu erwarten? Wozu war eine Frau nütze, wenn nicht dazu, Kinder zu bekommen, sie großzuziehen und für einen Mann das Essen zuzubereiten? Gewiss, Tonina war eine geschickte Perlentaucherin, eine der besten, aber die Zeitspanne des Perlentauchens währte nicht lange. Die meisten Mädchen tauchten, bis sie ihr erstes Kind erwarteten,
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