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Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Autoren: Patti Callahan Henry
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man am besten ignorierte (wie jede andere Art von Kunst ebenfalls brotloswar, eigentlich eine ziemlich merkwürdige Einstellung für eine Frau, die im Vorstand des High Museum of Art saß). So war meine Mutter – Widersprüche passten nahtlos in weitere Widersprüche, wie bei einer dieser Babuschka-Puppen, die mir meine Großmutter von einer Russlandreise mitgebracht hatte.
    Mutters beste Freundin, Sadies Mutter Birdie, ging durch die Menge und lenkte die Menschen und die Veranstaltung genauso elegant in die richtigen Bahnen, wie Mutter es selber getan hätte. Unser Freundeskreis nahm Dad, Lil, Rusty und mich in seine Mitte und umhüllte uns mit Trauer und Anteilnahme. Es gab Zeitungsartikel und Gedenktafeln, Bäume wurden gepflanzt, und vor dem High Museum stellte man eine Bank auf.
    Nun kam die letzte Beileidsbekunderin auf uns zu, in der Hand eine einzige Lilie, wie eine Braut auf dem Weg zum Altar. Ich befürchtete einen weiteren Lachanfall, aber ich hatte ausgelacht. Der Tag war fast zu Ende, und ich war erleichtert, weil ich durchgehalten und das Schlimmste hinter mich gebracht hatte.
    »Ellie?« Hinter mir sagte jemand meinen Namen. Eine sanfte Stimme.
    Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und dann sah ich sein Gesicht. Zwanzig Jahre war es her, aber die Minuten, Stunden und Tage zogen sich zu einem Augenblick zusammen und zeigten ihn mir so, als wäre keine Zeit vergangen. Vor allem sah ich seine Augen: mandelförmig und freundlich, Braun mit Grün unterlegt, als ob die Augen die Farbe von Waldfarn hatten annehmen wollen und sich erst im letzten Augenblick anders entschieden hätten.
    Aus dem Gleichgewicht gebracht, griff ich nach Rustys Hand, aber der gestikulierte gerade weitschweifig imGespräch mit seinem Freund Weston und bekam meine hilfesuchende Hand gar nicht mit.
    Als Nächstes sah ich Hutchs Lächeln, ein wenig schief und rechts leicht höher gezogen.
    Er hasst es, zu spät zu kommen.
    Ich lächelte ihn an. »Hey, hallo, Hutch O’Brien.« Meine Stimme klang zum Glück sicher und fest.
    Er hat Humor, mit einer Prise Sarkasmus.
    Er mag Spiegelei auf gebuttertem Toast.
    Auf seiner Wange ist eine Narbe von einem Hundebiss, als er zehn war. Jedem, der fragt, erzählt er eine andere Geschichte, woher die Narbe stammt. Ich kann mich gar nicht mehr an alle Versionen erinnern.
    »Ellie«, sagte er. »Das mit deiner Mutter tut mir sehr leid. Ich weiß, wie nah ihr euch gestanden habt.«
    »Danke, Hutch.« Ich schüttelte seine Hand, als wären wir entfernte Bekannte, die sich aus den Augen verloren hatten.
    Schweigend standen wir Hand in Hand da. Ich fühlte Tränen aufsteigen und wollte meinen Kopf an seine Brust lehnen, ich wusste genau, wo er da h
    »Weine nicht«, sagte er und drückte meine Hand.
    Ich nickte.
    »Es ist wunderbar, dein schönes Gesicht zu sehen. Sogar in Trauer bist du umwerfend.«
    »Eine glatte Lüge«, sagte ich. »Trotzdem danke.«
    »Hat deine Mom dir erzählt, dass ich sie letzte Woche für die Atlanta-History-Center-Ausstellung interviewt habe?«
    »Ja, hat sie.« Lange Jahre der Übung in Small Talk und sozialen Gepflogenheiten halfen mir, korrekte Sätze zu formen.
    Er mag die kühle Kissenseite und sitzt in Flugzeugen lieber am Gang.
    Hutch warf einen Blick durch die Sakristei. »Das ist jetzt bestimmt kein guter Moment, und wahrscheinlich weißt du nachher nicht mal mehr, dass ich da war, aber kann ich dich um etwas bitten?«
    »Alles«, sagte ich.
    Wir hielten uns immer noch an den Händen, ich wollte nicht mehr loslassen.
    »Wir – deine Mutter und ich – haben unser Interview nicht zu Ende geführt. Würdest du … mit mir reden, wenn sich alles etwas gelegt hat?«
    Ich nickte.
    »Okay«, sagte er und ließ meine Hand los. »Dann rufe ich dich an? Geht das?«
    »Ja.«
    »Es tut mir leid, Ellie. Es tut mir so leid, was du durchmachen musst.«
    »Danke, Hutch. Und danke, dass du gekommen bist.«
    Rusty schaltete sich ein, der Name hatte ihn hellhörig werden lassen. Hutch ging von dannen, und Rusty ergriff meine gewärmte Hand. »War das Hutch?«
    »Ja«, flüsterte ich.
    »Was zum Teufel wollte der denn hier?«
    Ich zuckte die Achseln. »Vermutlich sein Beileid bekunden, wie alle anderen auch.«
    Rusty drehte sich wieder zu Weston um und ließ meine Hand los.
    Erst als wir die Kirche verließen, sah ich den Wildblumenstrauß: eine Glasvase in der Form eines großen Goldfischglases, voll mit Kornblumen und Schwarzäugiger Susanne, Vergissmeinnicht und Texaslupinen. Ich
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