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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn
Autoren: Colin Dexter
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Hochschullehrerposten begann den traditionellen, religiös bestimmten Rahmen universitärer Disziplin und Administration zu sprengen. Junge Männer römisch-katholischen und mosaischen Glaubens und Angehörige anderer merkwürdiger Bekenntnisse wurden jetzt als Studenten zugelassen und nicht mehr nolens volens mit Cicero und Chrysostomus aufgezogen. Doch vor allem lag die Lehrtätigkeit an der Hochschule nicht mehr allein in den Händen zölibatärer, weltfremder Geistlicher, von denen etliche, wie zu Gibbons Zeit, wohl wußten, daß ihnen ein Gehalt zustand, darüber aber vergaßen, daß sie auch entsprechende Pflichten hatten. Viele der neuberufenen und auch einige der alteingesessenen Hochschullehrer verzichteten auf die Annehmlichkeiten der Junggesellenräumlichkeiten im College, verehelichten sich, kauften ein Haus für sich, ihre Frau, ihre Sprößlinge und Dienstboten in unmittelbarer Nähe des alten geistigen Zentrums von Holywell und High Street, Broad Street und St. Giles. Insbesondere breiteten sie sich nördlich der breiten, baumbestandenen St. Giles aus – dort, wo die Woodstock Road und die Banbury Road zu den Feldern von Nordoxford hinausgehen, in Richtung des Dörfchens Summertown.
    Wer heute Oxford besucht und sich von der St. Giles nach Norden wendet, ist beeindruckt von den meist aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden imposanten Häusern in der Woodstock und Banbury Road und ihren Querstraßen. Von den verwitterten gelben Gesimsen um die weißgestrichenen Fensterrahmen abgesehen, sind diese dreigeschossigen Häuser aus hübschem rötlichen Backstein. Die steilen Dächer haben kleine rechteckige Ziegel in einem eher orangeroten Ton, zahlreiche Schornsteine erheben sich über den Giebelfenstern. Daß solche Häuser heutzutage noch von einer einzigen Familie bewohnt werden, kommt nur ganz selten vor. Dazu sind sie zu groß, zu kalt, zu teuer im Unterhalt, die Umlagen sind zu hoch, die Gehälter (angeblich) zu niedrig, und die rapide im Aussterben begriffene Spezies der Hausangestellten verlangt einen Farbfernseher im Wohnzimmer. Die meisten Häuser sind deshalb in Mietwohnungen aufgeteilt, zu Hotels umgebaut, von Ärzten, Zahnärzten, Sprachschulen für Ausländer, Fachbereichen der Universität und Krankenhäusern übernommen – und in einem großen, gut ausgestatteten Gebäude in der Chaucer Road ist der Verband für Auslandsprüfungen untergebracht.
    Das Haus ist etwa zwanzig Meter von der verhältnismäßig ruhigen Straße zurückgesetzt, die die belebten Durchgangsstraßen Banbury Road und Woodstock Road verbindet, und neugierigen Blicken hinter eine Reihe von Roßkastanien entzogen. Von vorn ist es über eine gekieste Auffahrt zu erreichen, an der etwa ein Dutzend Wagen parken können. Doch das Personal der Geschäftsstelle ist neuerdings so angewachsen, daß dieser Platz inzwischen nicht mehr ausreicht, und die Auffahrt ist nach links verlängert worden und führt zu einem kleinen zementierten Hof an der Rückseite, wo die akademischen Mitarbeiter ihre Wagen abstellen.
    In dem Verband sind fünf Akademiker als hauptamtliche Mitarbeiter tätig, vier Männer und eine Frau. Jeder betreut in erster Linie das Fachgebiet, das er oder sie studiert und später gelehrt hat. Denn als eherne Regel gilt, daß kein Akademiker Chancen hat, eine Stellung bei dem Verband zu bekommen, wenn er nicht mindestens fünf Jahre Erfahrung im Schuldienst vorweisen kann. Die Namen der fünf Akademiker stehen in dicken blauen Buchstaben auf dem Briefbogen des Verbandes. Und auf solchen Bögen tippen am Freitag, dem 31. Oktober (dem Tag nach Quinns Beratungen mit den Historikern), in einem großen umgebauten Schlafzimmer im ersten Stock vier der fünf Sekretärinnen Briefe an die Direktoren und Direktorinnen jener Schulen im Ausland (eine erlesene, aber wachsende Schar), die bei der staatlichen Prüfung ihre Kandidaten für den Realschulabschluß und die Hochschulzulassung dem Wohlwollen und dem Fachverstand des Verbandes anvertrauen. Die vier jungen Frauen bearbeiten die Tasten ihrer Schreibmaschine mit unterschiedlichem Geschick. Häufig beugt sich eine vor, um einen Tippfehler oder einen Buchstabendreher zu beseitigen. Gelegentlich wird ein Blatt aus der Maschine gerissen, das Kohlepapier gerettet, aber Brief und Durchschläge werden wütend in den Papierkorb gepfeffert. Die fünfte Sekretärin, die sich bisher in eine Frauenzeitschrift vertieft hatte, legt sie jetzt beiseite und schlägt ihren
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