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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn
Autoren: Colin Dexter
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sie kein anderes Ventil für ihren sexuellen Frust hatte, gab es für ihn immer wieder eine Chance, und wenn sie erst mal zusammen in Monicas Bungalow waren, hinter verschlossener Tür, bei zugezogenen Vorhängen – Menschenskind, was war das für eine heiße Nummer. Er wußte, daß Quinn sie mal zu einem Drink ausgeführt hatte, aber das störte ihn nicht weiter. Oder? Als sie zehn nach zwei die Geschäftsstelle betraten, fragte er sich zum erstenmal, ob er sich nicht doch ein kleines bißchen an dem so harmlos aussehenden Quinn mit seiner Hörhilfe und den großen, unschuldigen Kinderaugen stören müßte.
     
    Philip Ogleby hörte Monica in ihr Büro gehen und verschwendete an diesem Tag keinen Gedanken mehr an sie. Sein Zimmer war das erste auf der rechten Gangseite, neben ihm war Bartletts Büro, dann, ganz am Ende, das von Monica. Er leerte seine zweite Tasse Kaffee, schraubte die Thermosflasche zu und legte eine alte Nummer der Prawda aus der Hand. Ogleby war seit vierzehn Jahren beim Verband und seinen derzeitigen Kollegen ebenso ein Buch mit sieben Siegeln, wie er es den vorhergehenden gewesen war. Er war Junggeselle und mittlerweile 53 Jahre alt, hatte ein hageres Asketengesicht und eine stets bekümmert-resignierte Miene. Das ihm verbliebene Haar war grau, und die ihm verbleibenden Lebensjahre versprachen womöglich noch grauer zu werden. In jungen Jahren hatte er sich für zahlreiche und teilweise recht ausgefallene Steckenpferde begeistert – Moriskentanz, viktorianische Laternenpfähle, Schwertlilien, Dampflokomotiven und römische Münzen. Als er sein Examen in Cambridge mit Auszeichnung gemacht und gleich eine Stellung als Mathematiklehrer an einer angesehenen Privatschule bekommen hatte, schien eine beneidenswert glänzende Laufbahn vor ihm zu liegen. Doch schon damals hatte es ihm an Ehrgeiz gefehlt. Und mit 39 war er nur deshalb auf seinem derzeitigen Posten gelandet, weil er das vage Gefühl gehabt hatte, sich zu lange auf eingefahrenen Gleisen bewegt zu haben, und es deshalb einmal mit einer anderen Art von Trott versuchen wollte. Es gab nicht mehr viel im Leben, was ihm Freude machte; das Reisen gehörte dazu. Zwar waren die sechs Wochen Jahresurlaub für seinen Geschmack bei weitem nicht lang genug, dafür erlaubte ihm sein durchaus ansehnliches Gehalt, in der knapp bemessenen Zeit neue, ungewöhnliche Wege zu gehen. Erst im vergangenen Jahr war er vierzehn Tage in Moskau gewesen. Er war Bartletts offizieller Stellvertreter; außerdem betreute er die Fächer Mathematik, Physik und Chemie. Da von seinen Kollegen niemand (nicht einmal die Philologin Monica Height) sich in den ausgefalleneren Sprachen so gut auskannte wie er, befaßte er sich, so gut es eben gehen wollte, auch mit Walisisch und Russisch. Seinen Mitarbeitern gegenüber verhielt er sich ausgesprochen indifferent. Selbst Monica behandelte er wie ein toleranter Ehemann seine Schwiegermutter. Die Kollegen akzeptierten ihn so, wie er war: geistig ihnen allen überlegen, verwaltungstechnisch unheimlich tüchtig, gesellschaftlich eine Null. Nur noch einen Menschen in Oxford gab es, der um die andere Seite seines Wesens wußte.
     
    Zwanzig nach fünf wählte Bartlett Apparat 5.
    »Sind Sie’s, Quinn?«
    »Hallo?«
    »Könnten sie mal eben in mein Büro kommen?«
    »Entschuldigen Sie, ich verstehe nicht ganz …«
    »Hier Bartlett«, schrie der in den Hörer.
    »Ach so, Pardon. Ich verstehe Sie so schlecht, Dr. Bartlett, am besten komme ich eben mal bei Ihnen vorbei.«
    »Darum hatte ich Sie ja gerade gebeten.«
    »Bitte?«
    Bartlett legte auf und seufzte schwer. Es war völlig sinnlos, mit Quinn zu telefonieren.
    Quinn klopfte und trat ein.
    »Nehmen Sie Platz, Quinn, ich möchte eine Kleinigkeit mit Ihnen besprechen. Als Sie gestern Ihre Sitzung hatten, habe ich den anderen Einzelheiten über unsere – äh – Festivität in der nächsten Woche erzählt.«
    Quinn konnte ihm recht gut folgen. »Sie meinen das Treffen mit den Ölscheichs, Sir?«
    »Ganz recht. Bitte bedenken Sie, daß die Sache für uns wichtig ist. Der Verband hat in den letzten Jahren knapp ohne Verlust abgeschlossen, und ohne unsere Beziehungen zu einigen der neuen Ölstaaten wären wir sehr schnell pleite, das muß man klar sehen. Wir haben uns mit unseren Schulen drüben in Verbindung gesetzt, und die haben uns gebeten, wir sollten uns mal Gedanken über einen neuen Lehrplan für Geschichte machen – zunächst bis zum Realschulabschluß. So in der Richtung
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