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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Kontrabassisten, der vor der übervollen Bahn zurückblieb, habe ein Fahrgast zugerufen: Siehste, wärste Flötist geworden, hättmer dich ooch noch mit reingequetscht! Ja, die große Dresdner Opernzeit. Schuch, Busch, Böhm, Elmendorff, Keilberth, Kempe, Konwitschny, Suitner … Heute alles vorbei. Kein Student mehr in der Semperoper. Sinopoli habe Vorträge im Gobelinsaal organisiert, über die Neue Wiener Schule, aber kaum jemand habe sich dafür interessiert. Sinopoli als designierter Generalmusikdirektor habe einen geharnischten Leserbrief »in unserem Blättel« veröffentlicht, Niklas winkte ab. Ja, die Leserbriefe, sagte Urvasi. Und vor allem die Leserbriefschreiber. Eine besondere Dresdner Angelegenheit, meistens männlich. Er warte, unser ausgelatscht mundwerkender Residenzspezialist, Füllergranaten und Kugelschreiberflak stünden bereit, E-Mail-Geschütze und Schreibmaschinenartillerie seien sorgfältig gewartet und zum Abschuß präpariert, denn bereit sein sei Pflicht und der Feind überall, kaum erwarten könne es der Leserbriefschreiber, das Falsche, Stadt- und Ansehenschädigende im Dauerfeuer zu vernichten, viel Haß und Rachedurst lauerten unter den Gemütsschichten aus Stollen und Eierschecke! Beispielsweise eine solche Diskussion, wie sie sie eben führten, öffentlich – ein Tanz auf der wenn nicht Waldschlößchen-, so doch Fakirbrettbrücke über Dresdner Spezialabgründen! Niklas habe das »designierter« vor Sinopoli und Generalmusikdirektor präzise angebracht, denn Sinopoli habe genaugenommen ja Generalmusikdirektor erst werden sollen, Chefdirigent der Staatskapelle sei er gewesen bis zu seinem tragischen Tod. Und wenn man sage, Dresden sei Barock, so kämen die Leserbriefschreiber und sagten: Dresden sei Renaissance. Sagt man: Wenn man durch die Stadt geht, muß man verblüffenderweise feststellen, daß das bißchen Barock auf einen Daumennagel paßt und die eigentlich stilbildende Bebauung so ist wie überall, zum Beispiel die Prager Straße mit ihrer Glas- und Stahl-Verkaufsarchitektur – dann wird man zu hören bekommen, man habe keine Ahnung und solltekein Recht haben, den Mund aufzumachen. Sage man, die Stadt sei immer schon ein bißchen von gestern und habe bereits anno dunnemals in ollen Kamellen gekramt, wie man bei Kügelgen, »Jugenderinnerungen eines alten Mannes«, feststellen könne, so werde es Zuschriften hageln, die auf die Künstlergruppe Brücke verweisen, und wie es doch in Dresden die Moderne sehr wohl gegeben habe, in Hellerau beispielsweise mit den Bemühungen der Tänzerinnen Wigman und Palucca, mit den Deutschen Werkstätten, Dalcroze, dem Werkbund, den Bauten Tessenows und Riemerschmids. – Die Moderne in Dresden, sann Niklas, wenn man denn Hellerau zur Stadt rechnen wolle. Immerhin befinde sich ein deutlicher Streifen Sand dazwischen, der Heller, auf dem die Bewohner der Albertstadtkasernen ihre Übungen abgehalten hätten. Außerdem die größte Kleingartensiedlung Deutschlands. Dresden als Militärstadt, mit Heeresbäckerei, brüllenden Feldwebeln, Armeemuseum und dem ersten deutschen U-Boot, Bauers Brandtaucher, nicht zu vergessen das Luftgaukommando des Hygienemuseum-, Bismarcktürme- und Augustusbrückenbauers Wilhelm Kreis aus Eltville am Rhein, das Luftgaukommando als schwere Naziburg, später Militärakademie Friedrich Engels, inzwischen Bundeswehr.
    Das dienernde Licht, »jetzt«, wiederholte die Fehler des anderen Ufers, die Kränkung, die ein Plattenbau für die Elbauen bedeutete. Wir gingen am Wasserwerk vorbei. All die frische, aufbessernde Kraft, die man atmete, wenn das Auge die Farbenstufen der Loschwitzhänge hinaufkletterte, grundierendes Wollgrün, die vorsichtigen Retuschen der Birken, die das Grün im probenden Herbsttheater differenzierten: Fichten-Parterres, schweigend und kritisch wie Anrechtsinhaber angesichts von Touristen ohne Andacht und in der grellen Kleidung der Sterbensangst (die Ocker- und Lohrot-Gebärden des Ahorns, der Blutbuchen); wieder einzelne Birken, die mit ihren Kronenkostümen prahlten, im ersten Rang fingerschnippfrech aufglitzernde Blätter, Heringsschwärme in den Laubbuchten, Kassenstürze von Kupferpfennigen dazwischen; Gegen-Blau, das grobe Grün von Wacholder und Lärchen, durchrötet von Vogelbeeren; vor der Brücke eine Birke mit einem Stamm von der Schwarzweißpracht des Hermelins, die Blättermasse in den schleifenden, kreisenden Bewegungen der Parkettabzieher; der Fluß trug wankelmütiges Licht.
    Wir
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