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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Italiendeutschen! Niklas Tietze zog seinen Mantel aus, warf ihn über die Schulter. Immer wenn er in der schönen Jahreszeit spazierengehe, gebe es den Moment, in dem alles leicht werde und er selbst frei, wo sich alles wieder einander zuwende, die Gesichter sich in den Gegenübergesichtern spiegelten und sagten: einverstanden. Am schönsten sei es mit Beginn der Blütenzeit, im Frühling. – Schon, sagte Urvasi, ja, der Frühling habe einiges für sich. Allerdings auch einiges gegen sich: all die Skater, Jogger, Angestellten auf Citybikes und Leichtmetall-Rollern, die einem die Besinnung störten, Fußball-Rüpel, Hiphopper mit ihren Gehörschlachtschiffen, die von ihren Hormonen durchdonnerten Brachialküsser auf den Bänken, und natürlich müsse alles aufknacken im Frühling, Rosafarbenes, Lanzettliches, auch einfach nur Schnödes werfe mit Pollen herum, daß die Schönheit allein beim Niesenden sei. Er warte auf den Mann, kein Gärtner, kein Politiker, kein Flötist, der freiwillig an einer Parkrose rieche. Herr Tietze müsse verzeihen, aber er sei an solchen Tagen halber Nasopath, leider! – Was ihn, sagte Niklas, an einen seiner Patienten erinnere, den Herrn B., genannt Vergiftete Bommel. Für den beginne der Frühling, wenn unter seinem mit Zeissfeldstecher und Direktleitung zur Polizei ausgerüsteten Verandafenster die Falschparksaison eröffnet sei. Mit erlesener Pfeife und einem Glas Wein verbringe Vergiftete Bommel genußreiche Stunden auf dem Beobachtungsposten. Es handele sich um eine Spielstraße und Sackgasse außerdem, deren vorderer Teil, in dem besonders gern Autos abgestellt würden, bereits zu einem Kreuzungsbereich gehöre. So daß dort das Parken strikt verboten sei! Vergiftete Bommel habe ein Schild gefertigt – wetterdicht verschweißt –, das auf den Sachverhalt verweise, letztlich ein Fehler! Er habe die Warntafel wieder abgehängt, weil er das Gefühl hatte, sich durch diesen allzu eilig und uneigennützig angebrachten Gesetzestext um durchaus befriedigendere Erlebnisse zu bringen. Vergiftete Bommel habe ihm, seinem Arzt, gestanden, diese immer wiederkehrenden Belehrungen, die er mit einer von offizieller Seite überreichten Armbindeals Polizeihelfer habe durchführen müssen, tiefinnerlich zu genießen. – Ach, dem habe ich das zu verdanken, Herr Urvasi kniff kühl die Augen zusammen, ergänzte: Ich weiß nichts, aber das immer aufs neue! Herr Tietze, Sie haben mich eben vor dem Abheben bewahrt. Er müsse, sagte Urvasi, sein Konzept des Dresdner Bildungsbürgers, genannt Bibü, überdenken. Es nisteten eben auch Bibüs wie Vergiftete Bommel in Dresden, durchaus am Elbhang, wo Kunst und Natur Hochzeit machen. – Wobei es ja, sagte Niklas, genaugenommen zwei Elbhänge gebe mindestens. Den Thomasmannelbhang und den Hermannhesseelbhang nämlich. Der Thomasmannelbhang, der bürgerlich-mondäne, sei der Weiße Hirsch. Das sei die Standseilbahnseite. Der Hermannhesseelbhang, die Schwebebahnseite, wähle grün, wandele in der warmen Jahreszeit in Leinenkleidern durch Loschwitz und Wachwitz, lebe im Revier der Obstbaum-Unikate und gutgefüllten Regentonnen, denen man ebenfalls, gewissermaßen basisdemokratisch, den Vorschlag mache, sich »einzubringen«. Aber ich liebe es, sagte Niklas. Schon in den Bäumen blühe Musik, Schumannsche Reverien, man gehe nach Hosterwitz zum Weberhaus oder nach Graupa zu Richard Eins, und wenn das Elbhangfest beginnt, im Juni, stünden die Gärten offen, man könne sich an die Tische setzen und mit wildfremden Menschen über Gott und die Waldschlößchenbrücke plaudern. Manchmal habe er das Gefühl, in Arkadien zu sein. Bei Gärtners im Ersten Steinweg! Unvergleichlicher Blick von der Terrasse, dazu Kuchen und Freundschaft. In der Wollnervilla gegessen, unter Orangen und sonstigen südlichen Pflanzen, die Wespen in der Limo, was für ihn, sagte Niklas, eine Heimatchiffre sondergleichen sei. Die Papiermonde leuchten, im Kunzeschen Antiquariat gegenüber der Loschwitzer Kirche gehen noch Goethe und die Romantiker ein und aus. Und darüber ein kleiner menschlicher Pharao: Sascha Schneiders Sonnenanbeter beim Schloß Eckberg. – Es gebe, sagte Urvasi, in unserer Stadt wahre Sonnenaufgänge der Ahnungslosigkeit, handwerklich tadellos gemacht. Denen Liotards Schokoladenmädchen einfach nur eine kleine Erfrischung bringen will. Nichts kam an gegen die Schwerkraft Meißner Kaffeeservices … Krieg, Brandschatzung, Raub, Ämter mit riesigen, kleinkarierten Augen, die
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