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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Pigmente in Canalettos Bild gekostet? Nein, Rhopalapion longirostre, genannt Der Wissensdurstige, hat mit seinem Rüssel das Preußischblau unter den Lasuren punktiert … Und was ahnt ihr denn vom Sächsisch unserer Nasen? Weich wie gewiegtes Röhricht und zauberhaft mannstoll klingt es, wie das Jungfernregal einer Silbermannorgel.
    (Groß und wenig erforscht ist das Heer der Rüßler. Der Gekittete, genannt Der Phantast, war es, der uns unter dem Pseudonym Karl May seine unsterblichen Aufzeichnungen hinterließ: Er reiste auf einer Kaffeekanne durchs wilde Kurdistan, mit einem Wunderlampenbewohner namens Blauer Dunst durch das Land der Skipetaren, fand die Schluchten des Balkan in Radebeul und den Wilden Westen in einem Bücherregal; sei bedankt, Meister des Fichtennadelrauchs über den Badewannen meiner Kindheit, Zauberer der Dachböden mit Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen; möge Chodem, das Gewissen, Astralgeist der Villa Shatterhand, dir in Dschinnistan beistehen!)
    Mir ist nach Bloggen zumute! Wie freue ich mich über die gewissenhafte Einsicht eines Ehrenrüßlers in das Wesen jenes Frühlingsglücks, das hin und wieder unsere weltberühmte Sammlung durcheinanderbringt: »Ich rollte über ihn. Wir rollten über mich. Sie rollten über ihn. Wir rollten über uns.« Die Elbe, der Brombeerfluß, und seine Flaschenteufel sind großkalibrig, sprudelnd, unnachgiebig.
    Ich sehe Häuser, eine Stadt, sie ist da – und ich wundere mich, daß sie dazu fähig ist. Es dürfte hier die meisten männlichen Klatschweiber geben, die fischelantesten Feiglinge und die stattlichste mit Oberlehrern bemannte Armada, die je ihre Fahne in den Wind hängte. Hörte ich ihren Namen, dachte ich: Unter der Idylle – immer reichlich Gülle.
    Jetzt aber, bevor alles verschwindet und so auch ich, will ich noch eine dicke einheimische Zigarre küssen, ein paar Tollkirschen essen, in meinen geliebten dreizehn Elefantenrüßlern lesen, mich an Stechapfelpulver berauschen und dazu meine Lieblingsvampirfilme gucken, die der Sandsteinbohrer vom Nachbarbrett, genannt Der Köstliche, gedreht hat; ich werde, indem ich beschließe, selber endlich zu einem braven und nützlichen Mitglied der großen Gemeinschaft der Rüsselkäfer zu werden, aus lauter Spaß gegen so viele Tabus wie möglich verstoßen, bevor ich – notgedrungen! – Nu sage zu einem wahrhaft finsteren Hack für mehr Sonne und Mitgefühl, reuig auf meinen bescheidenen Platz im Käferkarussell zurückkrieche und die Grenzen meiner Sinnesverwirrung erkenne; ich, genannt Der Philosoph, der die Grenzen nicht erträgt – nicht dieser Reise und nicht der folgenden. (Aus den Aufzeichnungen eines Rüsselkäfers)
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    Tscha, sagte Urvasi, indem er eine fehlgeleitete Reißzwecke aus seinem Daumen entfernte, sprachen wir nicht von Dix? – Otto der Große, sagte Niklas und ließ den letzten Zettelbaum rasch hinter sich, Dix – Löbte, habe er kategorisch knapp eher wie einen Fleischbrocken hingeworfen als einem Frager mit kursächsischer Höflichkeit erwidert, das Haupt der Dresdner Ottonen, Maler allesamt, wie sie im Buche stehen! – Dix und Höflichkeit, lachte Urvasi, dabei habe der ein Herz gehabt, zu groß für alle Hosen, in die es rutschen könnte. – Das Kriegstriptychon sei in die entartete Kunst geraten, sagte Niklas, aber der Sohn der Bienert-Ida, Hafenmühle, weitgerühmte Kunstsammlung der Neuen (mein Gott, bedauerte Niklas, wir hatten alle: Picasso, Braque, Klee, Kandinsky, Kokoschka … wie se alle hießen!), Patronin Däublers, der das »Nordlicht« geschrieben habe, – und die »Treppe« zum »Nordlicht«, angeregt von der Pillnitzer Wassertreppe, unterbrach Urvasi, – der Sohn der Bienert-Ida also, pflückte sich Niklas das Wort zurück, der habe das Kriegstriptychon versteckt, ebenso wie andere Werke des Großen Otto, sieben Bilder habe er in eine Scheune gegeben im Erzgebirge, habe aber dem Bauern »nischt« gesagt, der nach dem Krieg die Bilder im Strohentdeckt, aber »reinweg nischt« damit anzufangen gewußt habe; das Bäuerlein, der »tumbe Tor«, (Niklas’ bange Finger fuhren aus, tasteten die Wolken ab) habe nur die Qualität der Leinwand erkannt, herrliche Leinwand, habe er gedacht, ideal geeignet für – Kartoffelsäcke, und habe die Leinwand, mithin die Gemälde, ausgekocht, dem taumelnden Dix dann und dem Bienertidasohn stolz die Kartoffelsäcke vors Gesicht gehalten; und der Prozeß, dann, beim Gericht! Der Curt, der Querner, habe ihm, Niklas
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