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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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was tun? Eswird beschlossen / Die Galerie bleibt während der Öffnungszeit geschlossen. – Wie lange ist das schon her, sagte Niklas. Es habe ihn tief beeindruckt, wie die Menschen um Wanda Reichardt in der Villa Marie gelebt hätten. Unangepaßt, ohne Geld, in konzentrierter Arbeit, den Daseinsfeiern zugetan auf der Suche nach der Kunst und der Utopie.
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    Zuviel Idylle? Die Elbe schreibt ihr flüssiges Fragezeichen an die Stadt. Ruderboote; die Wiesen voller Spaziergänger und Mütter mit Kinderwagen, Angler stehen an der Ausmündung des Trillebachs, heben hin und wieder die Ruten und plazieren die Köder neu, lassen sie langsam hinaustreiben, auf die Dampfer zu, die vor der Brücke die Schornsteine kippen. Sonnenstrahlen prallen auf die Wasseroberfläche, die sich als Schmiede zu erkennen gibt und das Quecksilbrige zu vergänglichen Harnischen, Schulterpanzern, Epauletten und leeräugig davongaloppierenden Geisterpferden formt. Feuerplatten schwimmen hin und her, eine Zone ineinandergespülter Kräfte, Radien, zaghaft Gestricheltes wechselt sich ab mit festen Schraffuren, Strömungskummer trudeln auf, Graugardinen, die sich öffnen, Flußgeheimnisse andeuten, schließen. Aufgerührte Lieder, Wellen murmeln und singen, plaudern und tuscheln, von Prag, wo die Moldau den Hradschin und die Terrassengärten der Kleinen Seite mit Zeiten und Zeiten bedeckt, von Böhmen, das wie Dresden am Meer liegt aus Sand, Vergangenheit, Sehnsucht. Vom Riesengebirge, wo unterm tiefen Tann die Erzadern wuchern, Gerhart Hauptmann auf dem Wiesenstein saß in Agnetendorf und ans Hohenhaus dachte, Radebeul, drei Brüder freiten drei Schwestern, und was sind die Schiffe im Strom, Narren der Spätwärme, dieser Getreidefrieden der Luft, unwiderstehlichster Falschmünzer von Dresden. In der Ferne klart Pillnitz mit seinen Chinoiserien und Palmkübeln, der Vogelaugen-Kühle an Oktobermorgen, wenn das Spiegelbild einer Narzisse schwankt, die Gondel im Park und das von Zadnicek verwunschen fotografierte Palmenhaus sich mit der Kamelie zu einem Herzogtumder Stille verbünden. Bergpalais, Wasserpalais; Grafikantiquariat, der Verkaufsstand für Pulsnitzer Pfefferkuchen, der Park und seine aus den Zweigen der Blutbuchen und Blauglockenbäume sinkenden Teetassen; die Dampfer drehen, kreiseln weg von den Pontons. Sirenen wecken die Wehmut, die erst in Hamburg ausgewachsen sein wird, der befreundeten Meerstadt mit ihrem Salzatem, der Windweite und den segelsetzenden Namen: Großer Burstah, Süderende, Palmaille, Dovenfleet. Die Wellen der Elbe erzählen, werden sich mit den Erinnerungen von Torgau und Magdeburg, Wittenberg und Schönebeck verschwistern; ich sehe die Dampfer reisen, Ausflügler in Sommerkleidern, am musikdurchwehten Schillergarten vorbei, wo meine Eltern zu den Beats der »Pepitas«, dem Dixieland der »Elb Meadow Ramblers« tanzten. Über das Blaue Wunder kriecht der Verkehr.

Blick von der Schwebebahn 2010

»Gehen wir nach Hause«, sagte Niklas, »ich sehe schon, wir haben viel zu erzählen; meine Güte, Leben, Leben.« – »Ja«, sagte Urvasi,
     »aber wir hätten beim Wippler Eierschecke mitnehmen sollen. Na, wie weiß der Humorist: Dresden Se sich.«
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    … es wird zurückkehren, das Geräusch der »Hispaniola«, nachts, wenn im Dachbodenschatten Flints Mannschaft lauscht, doch das Haus ruhig ist und die Positionslampe im Dachfirst allmählich in die Koordinaten des Polarsterns rückt. Nachts, wenn das Haus Meßmacher, Hermann-Prell-Straße, mit seinem russischen Türmchen und der Wohnbrücke zwischen Straßenebene und Gartenetage wieder von den Schritten des Schiffsarztes belebt wird, dessen Bücher »Mopedfahrt in Südasien«, »Nach Yokohama und zurück«, »Arzt am Rande der Sahara« sich für immer mit dem Sommer-Delta verbinden, das sich unterhalb der Prellstraßenkehre, abgeriegelt vom Schauinsland auf dem Bergsporn und der Kreideklippe der aus Capri versprengten Villa Tiberius, bis zu den Höhenzügen des Osterzgebirges und der Sächsischen Schweiz verzweigteund die aufgefächerte Stadt mit den Szenerien eines Hafens füllte: Die Elbe war unser Mississippi, wir hörten die Sirenen der Weißen Flotte, mächtig zerstreuten sie die Binnenlandschaft, hefteten Flaggen an die Nadelholzmasten des Elbhangs, färbten die Namen mit Hoffnung und Rausch: Compagnie Laferme, die den Tabak- und Schornsteinrauch der Geschichten lieferte; Haus Karavelle, Tausendaugenhaus, durchzogen von den Karawanen Orbasans; Jules Verne. Für
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