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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Pappelalleen entlang, zu Fuß natürlich in der Nachkriegszeit, die tiefen Pappelströme bei Nöthnitz, im Kaitzgrund, und wenn ein Auto kam, »die Scheinwerfer, die das flirrende Dunkel in Licht tauchten und löschten«. Später habe er Unterricht auf dem Weißen Hirsch gehabt, beim Herrn U., genannt Stellvertretender Vorsitzender, der engelsgeduldig gewesen sei und streng kommunistisch, ein hervorragender Lehrer. Und die Frau im Bademantel offm Balkon! Es verwirrte einen doch. Noch nich’ mal richtsch offgestanden – und schon de Musik im Haus, habe sie angemerkt. – Ich habe Dix besucht, sagte Urvasi, ich bin im Albertinum gewesen, um ihn mir anzusehen. Am meisten hätten ihn, sagte Urvasi, die Stilleben interessiert; von denen sei allerdings keines von Dix. Das Quittenstilleben von van Gogh sei ja das Zentralbild der Quitten-Gesellschaft, erst kürzlich habe es einen Disput über die Anzahl der gemalten Quitten gegeben, er habe nachgeprüft: fünfzehn Stück seien die Azurwoge, die auf der Leinwand von links oben nach rechts unten sich ergieße, hinabgekollert. Daneben Ensors bedeutendes Stilleben mit Rotkohl. Gegenüber Monets Pfirsichglas, fünf recht appetitlich wirkende Früchte auf einer marmornen Tischplatte, zwanzig sichtbare im Glas. – Nich neunzehn? – Nee, zwanzsch. Übrigens sei es bei diesem Streit hauptsächlich um die Titel eines Dresden-Siebenteilers gegangen: ’türlich, an und für sich, hm, eua, nu / nee, durchaus, escha. Der Verfasser sei ein Rüsselkäfer aus der Dresdner weltberühmten Sammlung Curculionidae des neuerdings zu Klotzsche ansässigen Tierkundemuseums. Es handele sich, sagte Urvasi, während er einige Zettel aus der Tasche zog und an verschiedene Bäume heftete, um ein wahres Werkmassiv, verfaßt in Aphorismen.

Aus »Das Atelier Hermann Glöckner« 1987

Wie vertrackt sind meine Tage. Wir Rüsselkäfer werden chronisch unterschätzt. Indessen heute an der Pillnitzer Kamelie genagt. Wir alle mögen ja die Schönheit, die noch etwas mit dem Begriff Freigebigkeit anzufangen weiß.
    … K.u.K.: Auch wir. Die Kaffee-und-Kuchen-Monarchie. Italienische Zimmer. Türckische Cammern. Wände aus Erinnerungen, Brandung schreibt ihr Heimweh die Treppen hinauf. Zum Gespräch laden Archivare, heben Berglampen und jahrhundertgroße Schlüsselbünde. Man wohnt auf Theaterdecks, Alltag ist nur die Pause zwischen zwei Vorstellungen. Wir kennen erhabenere Epochen, sagt das Gedächtnis; wir sind heiter, das ist die Höflichkeit unserer Melancholie. Dresden: die Treue zum Horizont.
    Langsam eine der mannigfaltigen Weinbergtreppen hinaufgeschritten (wer hört mein Keuchen!) und das Staubsaugerproblem hiesiger Hotels bedacht, von dem mir Curculio nucum, die Haselnußbohrerin, genannt Die Sensible, berichtet hat. Schon von weitem höre man, kaum daß irgendwo ein Hahnenkamm erzittert sei, in den zumeist karg bestrahlten Herbergskorridoren ein Gerolle und Gestöpsel, das je nach Flottentyp »etwas mehr sahnig« (Miele) oder »burschikos« (Nilfisk) oder gar »schlierig enthemmt« (Sebo) gerate, bevor mit dem so charakteristischen Klack (Stecker in Steckdose), und dem ebenso charakteristischen Klick (Fuß betätigt den Einschalter) der Kampf ums Überleben der Teppichbewohner beginne. Sie sitze ja windstill in der Wand, aber wie Schreckliches habe sie schon beobachten müssen! Läuse in unausdenkbaren Fasertiefen, an denen grausame Orkane zerrten, so dennoch schließlich mitgerissen; Wanzen, erst gestern noch auf Familienbesuch im Zwinger, heute schon ohne Hoffnung. – Meine Ganzzarte, meine Gunstgewerblerin, uns bleibt nichts als Anteilnahme und Sabotage.
    Trostlos auf dem Berg angekommen von empörender Reklame heimgesucht: Born to be Senf! Dabei findet sich gerade bei uns die Kultur. Was wissen denn die Dresdner und ihre Besucher von der mit Ehrendiplomen gewürdigten Hufeisensammlung der ehemaligen Tierarzneischule, der von Dr. Dr. Arthur Fischer geleiteten Staatlichen Lehrschmiede und jener von ihm redigierten, bereits mythischen »Zeitschrift für das gesammte Hufbeschlagswesen«, »Der Hufschmied«, 720 Heftfolgen, eins der nummernstärksten Fachmagazine aller Zeiten; sind sie oder wir mit Kapitän Luckner auf den sieben Meeren unterwegs gewesen wie Stenopelmus rufinasus, mein altersloser Vorderläufer, genannt Der Seemann?
    Und überhaupt: Wer ist es denn, der Dresden wirklich kennt? Hast du etwa, du Ureinwohner, der du selbst im Schlaf nur »Frauenkirche Frauenkirche« murmelst, die
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