Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
äußere ein Einwegspiegel. Aber Sie werden nicht hier mit Billy sprechen, sondern im Therapiezimmer.«
    Dieses Zimmer war ein quadratischer, etwa sechs mal sechs Meter großer Raum, der von einer niedrigen Mauer in zwei Teile geteilt wurde. Zwischen Mauer und Decke waren Stahlrahmen mit dicken Panzerglasscheiben befestigt.
    In jede Scheibe waren zwei rechteckige Stahlgitter eingelassen, eines auf Kopfhöhe und eines knapp über der Mauer. Sie dienten dazu, sich durch die Barriere hindurch unterhalten zu können.
    Der Teil des Raums, in den John und Hanes traten, war etwas kleiner als der andere. Hier standen zwei schräg gestellte Sessel vor den Scheiben, mit einem Tischchen in der Mitte.
    Im anderen Teil des Raums befanden sich ein Sessel und eine lange Couch, damit der Patient sich entweder setzen oder hinlegen konnte.
    Die Sessel auf der Besucherseite der Trennwand hatten Beine aus Holz. Ihre Polster war mit Knöpfen befestigt.
    Jenseits der Scheibe waren die Möbel mit gepolsterten Beinen ausgestattet. Das Sitzpolster war glatt zusammengenäht und wies keinerlei Knöpfe oder Klammern auf.
    Auf der Besucherseite waren Videokameras an der Decke montiert, deren Objektive den gesamten Raum im Blick hatten. Von seinem Posten am Wachtisch aus konnte Coleman Hanes das Gespräch beobachten, ohne es zu hören.
    Bevor er ging, deutete der Pfleger auf eine neben der Tür in die Wand eingelassene Sprechanlage. »Rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind«, sagte er.
    Dann stand John allein neben einem der Sessel und wartete.
    Offenbar war das Glas mit einer nicht spiegelnden Schicht überzogen. In der polierten Oberfläche sah er nur sein eigenes gespenstisch blasses Spiegelbild.
    Die Wand gegenüber, auf der Patientenseite, hatte zwei vergitterte Fenster, durch die Johns Blick auf den schneidenden Regen und dunkle Wolken fiel, die sich wie Geschwüre ballten.
    Auf der Patientenseite ging links eine Tür auf, und Billy Lucas kam herein. Er trug Schlappen, eine graue Baumwollhose mit Gummizug und ein graues Sweatshirt.
    Sein hübsches Gesicht, glatt wie eine Eisfläche, sah vollkommen offen und harmlos aus. Mit seiner blassen Haut und seinem dichten schwarzen Haar erinnerte er in seiner grauen Kleidung an eines der noblen Porträtfotos von Edward Steichen aus den 1920er- und 1930er-Jahren.
    Die einzige Farbe an ihm, ja die einzige Farbe auf seiner Seite der Scheiben, war das strahlend klare, stechende Blau seiner Augen.
    Durch seine Medikamente weder erregt noch in Lethargie versetzt, ging Billy ohne Eile durch den Raum, mit breiten Schultern und einer fast gespenstischen Anmut. Seit dem Moment, als er durch die Tür gekommen war, richtete er den Blick auf John, nur auf John, bis er auf der anderen Seite der gläsernen Trennwand vor ihm stand.
    »Sie sind kein Psychiater«, sagte Billy. Seine Stimme klang klar, ausgeglichen und angenehm. Er hatte im Kirchenchor gesungen. »Sie sind von der Polizei, stimmt’s?«
    »Calvino. Morddezernat.«
    »Ich hab doch schon vor ein paar Tagen ein Geständnis abgelegt.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Und die Indizien beweisen, dass ich es tatsächlich war.«
    »Das stimmt.«
    »Was wollen Sie dann noch von mir?«
    »Begreifen.«
    Auf dem Gesicht des Jungen erschien zwar kein richtiges Lächeln, aber doch ein Anflug von Belustigung. Er war vierzehn Jahre alt und zu unsäglicher Grausamkeit fähig, denn er hatte seine ganze Familie ermordet und zeigte keinerlei Reue. Mit seinem halben Lächeln sah er jedoch weder selbstgefällig noch böse aus, sondern eher wehmütig, als würde er sich an einen Besuch im Vergnügungspark erinnern oder an einen schönen Tag am Strand.
    »Begreifen?«, wiederholte Billy. »Sie meinen – was mein Motiv war?«
    »Du hast nicht gesagt, warum.«
    »Das ist ganz einfach.«
    »Also warum?«
    Der Junge sagte nur ein einziges Wort: »Vernichtung.«

2
    Der windstille Tag wurde schlagartig turbulent. Regentropfen prasselten wie Schrotkugeln an das Panzerglas der vergitterten Fenster.
    Das kalte Geräusch schien die blauen Augen des Jungen zu wärmen, denn sie leuchteten heller.
    »Vernichtung«, wiederholte John. »Was soll das bedeuten?«
    Einen Moment lang hatte es den Anschein, als wolle Billy Lucas es erklären, doch dann zuckte er nur die Achseln.
    »Bist du bereit, mit mir zu reden?«, fragte John.
    »Haben Sie mir etwas mitgebracht?«
    »Du meinst ein Geschenk? Nein. Nichts.«
    »Bringen Sie mir das nächste Mal was mit.«
    »Was möchtest du denn?«
    »Alles, was scharf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher