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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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selbst, die alles für die Karriere aufgeopfert hatte, in ihrem großzügigen
     Loft und kann ihre Entlassung einfach nicht fassen, vor ihr bereits eine Handvoll Rechnungen, die sie nicht begleichen kann.
     Ganz allein trinkt sie einen Gin Tonic nach dem anderen und ruft immer wieder ihren Ex-Mann an, aber das Schwein hebt einfach
     nicht ab.
    Gut, wenn man einen natürlichen Habitus glaubhaft zu machen versteht. Das wusste bereits der italienische Diplomat Baldassare
     Castiglione, der vor 500 Jahren sein Buch »Der Hofmann« schrieb. An den Höfen der Welt lernt der Hofmann zu fechten, geschmeidige
     Konversationen zu führen, sich ordentlich zu pudern und Damen zu verführen. All diese Fertigkeiten gelingen ihm mit Grazie,
     die, damit jede Bewegung authentisch erscheint, ein ordentliches Training voraussetzt: »Wahre Kunst ist«, schreibt Castiglione,
     »was keine Kunst zu sein scheint; und man hat seinen Fleiß in nichts anderes zu setzen, als sie zu verbergen.«
    Kaum etwas ist mühsamer als Mühelosigkeit zu suggerieren, |40| weniges nur schwerer als eine leichte Konversation. Und schlimm, wenn man seine Verstellung dabei nicht zu verzieren vermag
     mit Anzeichen tief empfundenen Schmerzes oder Herzensfreude. Noch schlimmer sind die Zeichen missratener Täuschung: das unzeitige
     Erröten, Stottern oder Erblassen.
    Ein authentischer Charakter gilt als Zierde, doch niemand kommt ohne strategische Klugheit aus. Das ist das Spannungsfeld,
     in dem wir leben. Wer daher kein Pathos der Aufrichtigkeit zu simulieren versteht, wem immerzu der Panzer der Verstellung
     sichtbar auf den Schultern liegt, wird niemals geliebt. Die Verstellung erreicht ihren Gipfel in dem Moment, da sie vermeintlich
     aufgegeben wird.
    Einst waren Chefs unumschränkte Patriarchen und schmissen mit Schuhen nach ihren Angestellten, sie waren launisch wie Diven
     nach einer durchzechten Nacht, stauchten auf dem Flur mit überschnappender Stimme Mitarbeiter zusammen, und die Sekretärinnen
     waren ihre devoten Gespielinnen. Doch der böse Boss mit dicker Zigarre ist abgetreten, den bis zum Überdruss karikierten Choleriker
     des alten Kapitalismus gibt es nur noch in Ausnahmefällen, vorzugsweise in alten Familienunternehmen. Heute gibt man sich
     in der Regel sachlicher, geschmeidiger, netter. Die E-Mail-Accounts der Angestellten sind nach diversen Führungskräfteseminaren
     übervoll mit motivierenden Nachrichten. Man duzt sich im Team. Die durchsichtigen Türen in gläsernen Bürogebäuden, die keine
     Rückzugsräume mehr gestatten, versinnbildlichen die sonnenlichtdurchflutete Heiterkeit. |41| Und man darf als Chef heute auch eine freche Jörg-Pilawa-Frisur tragen, ohne als unseriös zu gelten.
    In den Talk-Runden beteuern die Manager freundlich, dass sie keine Entlassungen vornehmen möchten, wäre da nicht die Konkurrenz
     in Chongqing; dass sie keine Firma schließen wollen, wären da nicht die Aktienkurse. Überall Zwänge und Abhängigkeiten, unter
     denen sie leiden. Ihre Falle: ganz in Geschmeidigkeit aufzugehen, in der guten Laune falsch verstandener angelsächsischer
     Smartheit. Man macht assessments, meetings, man outsourced. Und ist man auf eine heftige Krise überhaupt nicht vorbereitet,
     zeigt man sich sogleich von der unbeholfenen Seite, die Hand zittert, die Verstellung wird als misslungen erkannt, die Gunst
     fällt von einem ab.
    Im Angesicht der human resources merke sich der beflissene Aufsteiger wie der kluge Chef, der Angestellte wie sein Vorgesetzter:
     Nur ein Verstellungskünstler, der das Natürliche, das gebrochen Traurige und das wahrhaft Stolze zu inszenieren weiß, vermag
     erfolgreich zu verführen.

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    |42| 6 SICH ZUMEIST BESCHEIDEN ZEIGEN
    I m Zustand ungehemmter Freude sind wir der festen und trügerischen Überzeugung, dass sich unsere Freunde und Bekannten, unsere
     Arbeitskollegen und Verwandten mit uns freuen. Angesichts eines großen Triumphes neigen wir zu dem Irrtum, dass einen Glücklichen
     zu umarmen bedeutet, selbst ein bisschen glücklich zu sein. Ein Fehler, wenn wir den Neid anderer ausblenden, eines der giftigsten
     aller Gefühle, das zu allem Übel äußerst weit verbreitet ist. Jeder kennt das Gerangel um einen Posten, den kalten Blick auf
     unsere Wohnung mit Dachterrasse, die Missgunst angesichts unseres überaus schönen Partners.
    Missgunst erzeugt nicht notwendigerweise Leid. Sie ist heimlicher Gradmesser unserer Anerkennung. Kaum etwas befriedigt uns
     im Stillen mehr,
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