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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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zu erteilen und die Pferde anzubrüllen pflegte. Und da legte Nester auch wirklich schon los: »Waska! He, Waska! Hast du die Mutterstuten rausgelassen? Wohin, du Biest?! Nu! Bist wohl eingeschlafen? Mach’s Tor auf und lass zuerst die trächtigen Stuten durch!« und dergleichen mehr.
    Das Tor ging knarrend auf. Waska, der verschlafen und mürrisch neben dem Tor stand, hielt sein Pferd am Zügel und ließ die anderen durch. Vorsichtig über das Stroh schreitend und es beschnuppernd, zogen die Pferde eins nach dem andern vorbei: junge Stuten, einjährige Hengste mit gestutzter Mähne, noch saugende Füllen und trächtige Stuten, die einzeln mit ihren massigen Leibern schwerfällig durch das Tor stapften. Einige junge Stuten legten sich gegenseitig die Köpfe auf den Rücken und wollten zu zweit oder zu dritt gewaltsam durch das Tor drängen, wofür sie jedes Mal von den Pferdeknechten grob angefahren wurden. Die noch saugenden Tiere drückten sich manchmal fremden Mutterstuten an die Beine und antworteten mit einem hellen Gewieher, wenn sie von ihren eigenen Müttern durch ein kurzes Aufwiehern zurückgerufen wurden.
    Eine junge übermütige Stute bog sofort, nachdem sie durch das Tor ins Freie gelangt war, den Kopf nach unten und zur Seite, schlug mit den Hinterbeinen aus, wieherte, traute sich aber dennoch nicht, der alten, graugesprenkelten Shuldyba vorauszulaufen, die mit langsamen, schweren Schritten und hin und her schwankendem Bauch wie immer gewichtig an der Spitze aller anderen Pferde ging.
    Der Gestütshof, auf dem es noch vor wenigen Minuten so lebhaft zugegangen war, lag jetzt wie ausgestorben da. Trübselig ragten die Pfosten der verlassenen Schutzdächer empor, unter denen nur noch zerstampftes und mit Mist vermischtes Stroh zu sehen war. Sosehr sich der scheckige Wallach an dieses Bild der Verödung auch gewöhnt hatte, schien es doch bedrückend auf ihn zu wirken. Während er, mit dem alten Nester auf dem knochigen Rücken, auf seinen krummen, steif gewordenen Beinen hinter der Herde hertrottete, hob und senkte er, sich gleichsam unaufhörlich verneigend, langsam den Kopf und seufzte ab und zu, soweit ihm dies der gestraffte Sattelgurt gestattete.
    Ich weiß schon, sobald wir auf die Landstraße kommen, wird er Feuer schlagen und sein hölzernes Pfeifchen mit den Messingbeschlägen und dem kleinen Kettchen anzünden, dachte der Wallach. Ich freue mich darüber, denn am frühen Morgen, wenn noch Tau liegt, habe ich diesen Geruch gern und werde durch ihn an mancherlei Angenehmes erinnert. Dumm ist es nur, dass der Alte, sowie er das Pfeifchen zwischen den Zähnen hat, jedes Mal übermütig wird, sich irgendwas einbildet und sich auf die Seite setzt – immer gerade auf die Seite, wo es mir weh tut. Nun, soll er, in Gottes Namen, mir ist es nichts Neues, dass ich leiden muss, damit andere ihr Behagen haben. Ich habe sogar schon gefunden, dass darin eine Art Vergnügen für Pferde liegt. Soll er sich nur aufblasen, der arme Wicht! Er spielt ja doch nur den Tapferen, solange er allein ist und ihn niemand sieht – mag er auf der Seite sitzen, dachte der Wallach, während er auf seinen krummen Beinen vorsichtig in der Mitte der Landstraße weiterstapfte.
    2
     
    Als Nester mit seiner Herde am Fluss angelangt war, an dessen Ufer die Pferde weiden sollten, sprang er von dem Wallach herunter und sattelte ihn ab. Die übrigen Pferde schwärmten inzwischen bereits auf der noch unzerstampften, taubedeckten Wiese aus, über der, ebenso wie über dem sie bogenförmig einfassenden Fluss, Dunst aufstieg.
    Nachdem Nester dem scheckigen Wallach das Zaumzeug abgenommen hatte, kraulte er ihn unter dem Hals, woraufhin der Wallach zum Zeichen der Dankbarkeit und des Wohlbehagens die Augen schloss. »Das gefällt ihm, dem alten Biest!«, sagte Nester. In Wirklichkeit konnte der Wallach dieses Gekraule absolut nicht leiden und gab sich nur aus Taktgefühl den Anschein, dass es ihm angenehm sei, indem er zustimmend den Kopf schüttelte. Doch da stieß Nester, der vielleicht annahm, eine allzu große Vertraulichkeit könnte beim Wallach falsche Vorstellungen von seiner Bedeutung hervorrufen, plötzlich ganz unvermittelt den Kopf des Pferdes zurück, holte mit dem Zaumzeug aus und versetzte dem Wallach mit den Riemenschnallen einen äußerst empfindlichen Schlag gegen das dürre Bein, woraufhin er, ohne noch etwas zu sagen, einen kleinen Hügel bestieg und zu dem Baumstumpf ging, auf dem er gewöhnlich zu sitzen pflegte.
    Den
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