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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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Vorderbeine ungewöhnlich lang zu sein. Die Rippen waren zwar stark, hoben sich jedoch unter der gestrafften Haut so plastisch ab, dass man meinen konnte, das Fell sei in den Vertiefungen dazwischen angetrocknet. Der Widerrist und der Rücken waren mit vernarbten Wunden von früheren Hieben übersät, und hinten sah man eine noch frische wunde Stelle, die angeschwollen war und eiterte. Der schwarze Ansatz des Schwanzes mit den sich abzeichnenden Knochenwirbeln hob sich lang und fast kahl vom Körper ab. Auf der braunen Kruppe befand sich nach dem Schwanz zu eine mit weißen Haaren bewachsene, etwa handbreite Narbe, die von einer Bisswunde herzurühren schien; eine zweite Schramme war vorn am Schulterblatt zu sehen. Die Kniegelenke der Hinterbeine und der Schweif waren infolge der dauernden Magenstörungen des Wallachs unsauber. Das Fell stand, obwohl es kurz war, am ganzen Körper borstenartig ab. Doch ungeachtet der abstoßenden Gebrechlichkeit dieses Pferdes wurde man bei seinem Anblick unwillkürlich nachdenklich gestimmt, und ein Kenner hätte gleich gesagt, dass es einstmals ein außergewöhnlich gutes Pferd gewesen sein musste.
    Ein Kenner hätte sogar gesagt, dass es in Russland nur eine einzige Rasse gibt, die einen derartig ausladenden Körperbau, solche mächtigen Schenkel, solche Hufe, solche feinknochigen Beine, eine solche Haltung des Halses und vor allem eine solche Form des Kopfes mit den großen schwarzen leuchtenden Augen, den rassig hervortretenden Adern an Kopf und Hals sowie einer solchen Feinheit des Fells und der Haare aufweist. In der Tat, es lag etwas Erhabenes in der Erscheinung dieses Pferdes und in der fürchterlichen Verbindung der Anzeichen seiner durch das scheckige Fell noch unterstrichenen Gebrechlichkeit mit seinem ganzen Gebaren, in dem sich Ruhe und Selbstbewusstsein, Kraft und Schönheit ausdrückten.
    Gleich einem lebenden Wrack stand der Wallach einsam inmitten der taubedeckten Wiese, während aus einiger Entfernung das Getrappel, Schnaufen, Tollen und jugendlich helle Wiehern der ausgeschwärmten Herde herübertönte.
    3
     
    Die Sonne hatte sich mittlerweile über den Wald erhoben und beleuchtete mit ihren hellen Strahlen die Wiese und die Windungen des Flusses. Der verdunstende Tau wurde zu kleinen Tropfen, und an sumpfigen Stellen verflüchtigte sich, einem Rauchwölkchen gleich, über dem Walde hie und da der letzte Frühnebel. Am Himmel bildeten sich kleine gekräuselte Wolken, doch es war noch windstill. Am anderen Flussufer erhob sich ein dichtes Roggenfeld mit grünen, bereits anschwellenden Ähren; der Duft von frischem Grün und Blumen wehte herüber. Aus dem Walde ertönten die heiseren Rufe eines Kuckucks, und Nester, der lang ausgestreckt auf dem Rücken lag, zählte, wie viele Jahre er noch zu leben habe. Über dem Roggenfeld und der Wiese stiegen immer wieder Lerchen in die Höhe. Ein Hase, der sich verspätet hatte und zwischen die Herde geraten war, machte sich mit ein paar Sätzen davon, hielt an einem Strauch inne und spitzte lauschend die Ohren. Waska hatte den Kopf ins Gras gesteckt und war eingeschlafen. Die Stuten machten einen Bogen um ihn und verteilten sich noch weiter über die Flussniederung. Die alten Tiere schnauften und suchten sich, auf der taunassen Wiese eine glitzernde Spur hinterlassend, einen Platz aus, wo sie ungestört sein würden; sie waren bereits gesättigt und naschten nur noch ab und zu einen besonders wohlschmeckenden Grashalm. Die ganze Herde bewegte sich unmerklich in ein und derselben Richtung weiter. Auch hier ging die alte Shuldyba mit gemessenen Schritten allen andern Pferden voran und zeigte damit, dass man noch weiter vordringen durfte. Muschka, eine schwarze Stute, die erstmalig gefohlt hatte, wieherte unaufhörlich und fauchte mit erhobenem Schweif ihr kleines lilaschimmerndes Fohlen an, das mit schlotternden Knien neben ihr hertrottete. Lastotschka, eine braune, noch ganz junge Stute mit glattem, wie Atlas glänzendem Fell, senkte den Kopf so tief, dass ihr das schwarze seidige Haar des Schopfs über Stirn und Augen fiel, und riss spielerisch Gras ab, warf es hin und stampfte mit ihren von Tau nassen, an den Knöcheln buschigen Füßen darauf. Eins der älteren Fohlen hatte sich ein besonderes Spiel ausgedacht und galoppierte nun schon zum sechsundzwanzigsten Male, den kurzen krausen Schweif steil aufgerichtet, um seine Mutter herum, die offenbar an diese Eigenheit ihres Sohnes bereits gewöhnt war, seelenruhig ihr Gras
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