Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Mädchen, war sie geradezu bezaubernd: Groß, schlank und graziös, machte sie einen ungemein hoheitsvollen, ja wirklich hoheitsvollen Eindruck. Ihre außergewöhnlich gerade, aber dennoch natürliche Haltung, bei der sie den Kopf ein wenig in den Nacken warf, verlieh ihr, ungeachtet der Magerkeit, im Verein mit ihrer Schönheit und ihrem hohen Wuchs einen gewissen königlichen Zug, der vielleicht abstoßend gewirkt hätte, wäre er nicht mit dem bestrickenden, allezeit strahlenden Lächeln ihres Mundes und den wunderschönen, leuchtenden Augen sowie dem ganzen Liebreiz ihres jugendfrischen Wesens verbunden gewesen.«
»Wie Iwan Wassiljewitsch alles beschreibt!«
»Ja, aber ich muss es einfach so beschreiben, damit Sie begreifen, was für eine Erscheinung sie war. Doch das spielt jetzt keine Rolle: Was ich erzählen will, hat sich in den vierziger Jahren zugetragen. Ich studierte damals an der Universität einer Provinzstadt. Zu dieser Zeit hatten wir unter uns Studenten – ob es ein Vorteil oder Nachteil war, sei dahingestellt – keinerlei Zirkel gebildet und auch keinerlei Theorien aufgestellt, wir waren einfach jung und lebten so, wie es die Jugend eben tut: Wir studierten und vergnügten uns. Ich war ein immer fröhlicher, unternehmungslustiger junger Bursche und besaß zudem Vermögen. Ich hielt mir ein forsches Reitpferd, rodelte mit jungen Damen (Schlittschuhlaufen war damals noch nicht Mode) und zechte mit Studienkameraden (wir tranken ausschließlich Champagner, und wenn unser Geld dazu nicht reichte, tranken wir gar nichts, vor allem nicht Schnaps, wie es heute gang und gäbe ist). Am liebsten jedoch besuchte ich Abendgesellschaften und Bälle. Ich tanzte gut und war auch nicht gerade missgestaltet.«
»Nun, Sie brauchen nicht so bescheiden zu sein«, unterbrach ihn eine der anwesenden Damen. »Wir entsinnen uns noch der Daguerreotypie, die man damals von Ihnen machte. Sie waren nicht nur keine Missgestalt, sondern ein ausgesprochen gutaussehender junger Mann.«
»Ob ich gut ausgesehen habe oder nicht, darauf kommt es nicht an. Ich wollte nur sagen, meine Liebe zu ihr hatte den allerhöchsten Grad erreicht, als ich am letzten Abend der Fastnachtswoche beim Adelsmarschall des Gouvernements, einem gutmütigen, reichen und sehr gastfreundlichen alten Kammerherrn, zum Ball eingeladen war. Seine Frau, die ebenso gutmütig wie ihr Mann war und in ihrem Samtkleid, mit einem Brillantdiadem auf dem Kopf, dem trotz ihres Alters tiefen Dekolleté und ihren entblößten Schultern an die Bildnisse der Zarin Jelisaweta erinnerte, machte die Honneurs. Alles war wunderschön. Getanzt wurde in einem prächtigen, von Balustraden umgebenen Saal, es spielte ein zu jener Zeit berühmtes Leibeigenenorchester eines musikliebenden Gutsbesitzers, das Büfett war mit Delikatessen überladen, und der Champagner floss in Strömen. Obwohl ich für mein Leben gern Champagner trank, nahm ich an diesem Abend keinen Schluck zu mir, denn ich war ohnedies von Liebe trunken; doch dafür tanzte ich fast bis zum Umfallen – tanzte Quadrillen, Walzer, Polkas, und natürlich, soweit das möglich war, immer nur mit Warenka. Sie trug ein weißes Kleid mit rosa Gürtel und dazu nicht ganz bis zu ihren spitzen Ellenbogen reichende weiße Glacéhandschuhe sowie weiße Atlasschuhe. Bei der Mazurka kam mir ein anderer zuvor: der höchst widerwärtige Ingenieur Anissimow – ich kann ihm das bis heute noch nicht verzeihen –, er hatte sie unmittelbar nach ihrem Eintritt in den Saal engagiert, während ich noch beim Friseur gewesen war, um mir Handschuhe zu holen, wobei ich mich etwas verspätet hatte. Infolgedessen tanzte ich die Mazurka nicht mit ihr, sondern mit einer kleinen Deutschen, der ich vorher einmal ein wenig den Hof gemacht hatte. Nun, an jenem Abend wird sie mich, fürchte ich, für sehr unhöflich gehalten haben, denn ich unterhielt mich nicht mit ihr und sah sie auch nicht an, sondern blickte immer nur zu der hohen schlanken Gestalt im weißen Kleid mit rosa Gürtel, zu ihrem strahlenden, vor Erregung leicht geröteten Gesicht mit den Grübchen in den Wangen und den schönen sanften Augen. Und nicht nur ich, nein, auch alle andern sahen immer wieder zu ihr hin und ergötzten sich an ihrem Anblick – die Herren wie die Damen, obwohl sie die allesamt in den Schatten stellte. Es war eben unmöglich, sich ihrem Liebreiz zu entziehen.
Von Rechts wegen sozusagen war ich also bei der Mazurka nicht ihr Partner, aber ich tanzte fast die
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