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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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bewaffneter Männer. Miriam sah, wie sie mit einem einzigen Fußtritt die Türen palästinensischer Häuser aufstießen und dann unter ihren Läufen verstörte Fedayin, ihre Frauen und Kinder in die grelle Wüstensonne hinausführten. Da erwachte in ihrem Herzen eine wilde, laute Freude, als hätte sich ein in den Generationen Israels geknebelter Traum erfüllt, der in den gequälten Leibern von Millionen Juden Europas und Asiens gebrannt, der all die Jahrhunderte hindurch diese Gruppen ewig dämmriger, dunkler, verängstigter, eifriger, verfluchter und zugleich auserwählter Wanderer belebt hatte. Als Miriam zum ersten Mal einen mächtigen Mann sah, der mit einem einzigen Fußtritt eine palästinensische Tür sprengte, kam es ihr vor, als wäre Gott selbst anwesend und nickte zustimmend. Miriam dachte damals nicht an die verschreckten und hilflosen Fedayin, sondern an die ganze wütige Menschheit, die endlich ein jüdischer Fußtritt zur Ordnung ruft. Sie hatte die Augen voller Tränen und spürte Stolz, Dankbarkeit und heißen Glauben im Herzen. Sie vergab der Welt alles Böse, denn nun war der Ausgleich für alles Unrecht gekommen, und die Juden würden nicht mehr die Verachteten, Erniedrigten und Verfolgten sein. Doch ihre Begeisterung währte nur kurz. Miriam war ein sensibles Mädchen und besaß auch viel gesunden Menschenverstand. Vielleicht hätte Sensibilität und Verstand nicht ausgereicht, hätte sie nicht die nächste, zwar ganz banale und äußerst gewöhnliche, aber immerhin lehrreiche Szene gesehen. Die israelischen Soldaten standen, wie Soldaten das tun, den Fedayin von Angesicht zu Angesicht gegenüber, aber die Fedayin waren gebückt, hielten die Arme im Genick verschränkt, ihre Frauen kreischten, obwohl niemand sich für sie interessierte, die Soldaten dagegen standen auf gespreizten Beinen, mit steinernen Gesichtern, deren Ausdruck ziemlich dumm und angeberisch wirkte, und hatten die Finger am Abzug ihrer Pistolen. So standen sie unbeweglich und warteten auf weitere Befehle des Offiziers, der mit einem Rohrstöckchen Striche und Kreise in den Wüstensand zeichnete, dermaßen auf seine historische Entscheidung konzentriert, daß er wie ein gedankenloser Narr aussah, wodurch er sich von allen anderen Offizieren unter der Sonne nicht unterschied. Doch für Miriam war diese Szene erschütternd, weil ihr klar wurde, welcher Unsinnigkeit sie beiwohnte; kein einem palästinensischen Fedayin verpaßter Fußtritt konnte die Jahrhunderte der Geschichte auslöschen und eine Genugtuung darstellen. Sie war nicht hinreichend gebildet, um in diesem Augenblick daran zu denken, daß sie der ewigen Nachahmung beiwohnte und daß die israelischen Soldaten sich nicht diesen herrischen Schritt ausgedacht hatten, denn so stand der bewaffnete und seiner Stärke bewußte Mensch immer vor dem wehrlosen und überwundenen. So stand der römische Legionär vor dem gestürzten Makkabäer und Odoaker in den Ruinen des Kolosseums, der fränkische Ritter vor den mit Stricken gefesselten Sachsen,  Maljuta Skuratow  vor den knienden Bojaren, Bismarck in Versailles,  Stroop  auf den Straßen des brennenden Ghettos, der vietnamesische Partisan bei Dien-BienPhu. Und so sollten alle Sieger vor den Besiegten stehen bis ans Ende der Welt. Das war nicht viel wert, und Miriam ging fort, um die stumme Szene möglichst schnell zu vergessen. Aber sie konnte die Fesseln nicht sprengen, die sie banden, so wie andere sie auch nicht sprengen können. Später gewöhnte sie sich irgendwie daran und erwartete weder Genugtuung noch besondere Beschwerden.
    Erst einige Zeit später, als sie feststellte, daß sie schwanger war, und ihr israelischer Mann sich über diese Tatsache laut und angeberisch freute, als wäre es auf dieser besten aller Welten ein beispielloses Ereignis, seiner eigenen Frau ein Kind zu machen, erlebte Miriam eine Nacht der großen Angst. Es war heiß, der Mond leuchtete über den Hügeln, Ölbäume und Tamarisken warfen blaue Schatten. Miriam stand am Fenster ihres Hauses. Sie betrachtete den Himmel, den Mond, die Hügel und hatte wie nie zuvor durchdringende Angst bei dem Gedanken, einen Menschen zu gebären. Sie fürchtete sich davor und verfluchte ihren Schoß. Seltsame Worte aus ihrer im Kloster verbrachten Kindheit fielen ihr ein, Worte aus den Evangelien, die Schwester Weronika mit leiser, sanfter Stimme vorlas. Und Miriam wiederholte diese Worte, aber laut und heftig und zum Himmel gewandt: »Mein Gott, warum hast du
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