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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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bekommen, wie denn sonst, da doch Friede auf Erden ist, da man doch miteinander handeln muß. Trinken denn die Engländer allen indischen Tee alleine? Liefern die Sowjets nicht Erdöl, Weizen, Kartoffeln und was sonst noch?! Wir werden leben, lieber Herr Kujawski, zwar unter fremdem Stiefel, das läßt sich nicht verbergen, dafür aber in Frieden, denn von heute abend an herrscht Friede auf der Welt, das höchste Gut des Menschen und der Menschheit, Herr Kujawski, nach dem sich unsere geplagten, dummen, durch Unfreiheit entehrten, an Demut, Erniedrigung, Unterwürfigkeit gewöhnten Seelen sehnen, nicht heute natürlich, noch nicht heute, doch in einiger Zeit, in einigen Jährchen, wenn sie uns erst eigene Schulen gegeben haben, ja doch, mit unserer Muttersprache in allen Fächern ohne Ausnahme, wenn wir Brot essen mit Speck und sich vielleicht sogar eine Flasche französischer Kognak findet, vielleicht schwedischer Hering, vielleicht eine Havanna-Zigarre! Überlegen Sie nur, lieber Freund, wieviele Tugenden und lobenswerte Taten unter der Sonne des europäischen Friedens erwachsen werden. Wie freudvoll das Leben unserer kleinen Sklaven sein wird, der Buben und Mädchen, die von ihren Beherrschern sogar ein Bonbon kriegen werden, sogar ein buntes Spielzeug, denn sie werden sich um die Kinderlein kümmern, sogar Ovomaltine im Kindergarten verteilen, damit die Kinder gesund und kräftig werden, damit sie später redlich arbeiten können für einen bescheidenen, aber angemessenen Lohn, Kur und Erholungsurlaub, dem Grundsatz Kraft durch Freude entsprechend, das heißt man soll ausruhen, sich kurieren, die Zähne plombieren lassen, sich vernünftig ernähren und hygienisch leben, weil das die unerläßliche Vorbedingung erfolgreicher und disziplinierter Arbeit ist, und wie Sie wissen, lieber Herr Kujawski, Arbeit macht frei, das heißt besonders unter der goldenen Sonne des europäischen Friedens macht sie den Menschen frei. Und nur eines wird uns fehlen. Nur eines! Das Recht zum Widerspruch! Das Recht, laut zu sagen, daß wir ein freies und unabhängiges Polen wollen, daß wir uns auf unsere eigene Weise die Zähne putzen und ausruhen wollen, auf unsere eigene Weise Kinder zeugen und arbeiten, auf unsere eigene Weise denken, leben und sterben. Dieses Eine wird uns fehlen unter der Sonne des europäischen Friedens, den Sie, mein Freund, für das höchste Gut halten.«
      Der Schneider Kujawski fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Die Spangen an den Pantoffeln des Richters, die ihn eben noch an kleine, glänzende Sterne erinnert hatten, hielt er nun für die Augen eines wilden Tieres.
      »Was Sie nicht alles sagen, Herr Richter«, murmelte er. »Ich will Frieden, versteht sich, aber unter anderen Bedingungen. Erst soll dieser ganze Hitler zur Hölle fahren…«
      »Damit der zur Hölle fährt, bedarf es eines langen Krieges, Herr Kujawski«, sprach der Richter.
    »Dann muß er eben lang sein, aber ihn soll der Teufel holen!«
      »Meinen Sie das, mein Freund? Paßt Ihnen der Friede von heute abend an nicht mehr? Gelüstet es Sie schon wieder nach dem fröhlichen Soldatenleben? Haben Sie von all diesen Entsetzlichkeiten nicht genug? Steckt ein so blutiger Scharfrichter in Ihnen? Das hätte ich nicht erwartet, Herr Kujawski! Haben Sie noch nicht genug an Opfern, an Bränden, an polnischem und nichtpolnischem Blut, das auf Erden vergossen wird?«
      Der Richter lachte laut auf. Er hielt den Schaukelstuhl an. Die Augen des wilden Tieres erloschen.
      »Einverstanden, mein Freund«, sprach er. »Wir sind endlich übereingekommen, Herr Kujawski! Es muß uns immer um Polen gehen, um das Polentum, um unsere Freiheit. Kein europäischer Friede, dieser Firlefanz für Idioten, sondern Polen. Habe ich nicht recht?«
      »Gewiß haben der Herr Richter recht«, antwortete Kujawski. »Aber ich bin nicht nur an Körpergröße ein Hühnersteiß, sondern auch an Verstand.«
      »Sagen Sie das nicht laut! Die Wände haben Ohren. Vielleicht sitzen da irgendwelche einheimischen Demiurgen, die nur darauf warten, daß die Leute das Vertrauen zum eigenen Verstand verlieren, um innerlich zu schwanken und sich selbst mit Zweifeln zu quälen, ob sie nicht tatsächlich, wie Sie sich auszudrücken belieben, einen Hühnersteiß-Verstand haben.«
      »Demiurgen«, wiederholte der Schneider. »Von denen habe ich noch nicht gehört. Ist das sowas wie Installateure?«
    »Das sind, werter Herr, Spezialisten für die Erlösung
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