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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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lächerlich gemacht. Doch Pawełek gehörte zu einer Epoche, in der die jungen Leute erwachsen sein wollten. Sie trugen seit dem fünfzehnten Lebensjahr Herrenanzüge und verlangten nach Pflichten und Verantwortlichkeiten. Sie flohen die Kindheit, denn diese hatte ohnehin schon zu lange gedauert. Kinder haben keine Ehre, sie aber wollten Ehre haben um jeden Preis.
    Er öffnete die Augen und betrachtete seine Hände. Noch waren es die eigenen. Beruhigt schmiegte er sich wieder an das Kissen. Nachts war Henio bei ihm gewesen. Doch hatten dessen Gesichtszüge undeutlich gewirkt, und seine Stimme war so leise, daß Pawełek die Worte nicht verstand. Nur Henios Geste drang zu ihm durch. Wie immer im Traum gab Henio ihm ein Zeichen. Pawełek sagte dann: Wo bist du, Heniek? erhielt aber keine Antwort. Er mochte diesen Traum nicht, der sich seit einiger Zeit regelmäßig wiederholte, wenn er aber mit dem Gefühl erwachte, Heniek sei in dieser Nacht nicht gekommen, war er enttäuscht. Wo ist dieser Unmensch geblieben? dachte Pawełek.
      Er öffnete die Augen und betrachtete seine Hände. Dabei fiel ihm ein, daß er seine Kontakte mit Gott vernachlässigte. Er glaubte nicht so fest an Gott wie früher und später, sondern trug in sich Skepsis, Empörung, Spott und Zweifel, fürchtete aber die Strafe des Himmels. Er rechnete zwar mit seiner Geduld, fürchtete aber seinen Zorn.
      Seine Hände waren bräunlich und kräftig. Erleichtert atmete er auf und erhob sich vom Bett. An diesem Tag hatte er viele wichtige Dinge zu erledigen, die Mannhaftigkeit und Würde erforderten. Zu Häupten seines Bettes standen zwei Frauen: Frau Irma, die goldene, veilchenblaue und schöne, von der er sich löste, und Monika, die silberne und dunkle, die er leidenschaftlich zu lieben begann.
      Frau Irma war Pawełeks erste, kindliche Liebe. Vor dem Kriege hatte sie auf der anderen Seite der Wand gewohnt, im gleichen Stockwerk des Mietshauses. Als er sich in sie verliebte, war Pawełek dreizehn Jahre alt gewesen. Sie war die Frau eines Arztes, des Doktors Ignacy Seidenman, eines Röntgenologen und Wissenschaftlers. Der Doktor mochte Pawełek. Traf er ihn auf der Treppe, so fragte er ihn nach der Schule aus und schenkte ihm Bonbons, einmal lud er den Jungen sogar in sein Arbeitszimmer ein, wo sich der Apparat für die Röntgenaufnahmen befand. Frau Irma war eine goldblonde Schönheit mit blauen Augen und schlanker Gestalt. Schon vor dem Kriege träumte Pawełek nachts von ihr. Dann erwachte er entsetzt und erkannte seinen eigenen Körper nicht wieder, der heiß, gespannt und schmerzerfüllt war. Frau Irma hatte etwas von einer Krankheit, sie verursachte nur Qualen. Wenn sie ihm Bonbons oder Schokolade anbot, fühlte er sich gedemütigt. Denn er wollte für sie exotische Länder erobern, Festungen plündern, feindliche Horden besiegen. Er verstand sich nicht mehr und fand sich nicht zurecht. Er fuhr zu ihr in einer Arche, auf einer Galeone mit hundert Geschützen, in einem indianischen Kanu, und sie trat ihm mit einer Praline in der Hand entgegen. Später ruderte er kein Kanu mehr – mit Federschmuck auf dem Kopf. Frau Irma zog kreuz und quer durch Warschau. Eine jüdische Witwe mit nordischem, entschlossenem Gesicht. Es war Krieg. Pawełek lernte in Untergrundschulen und versuchte, etwas zu verdienen, um seiner Mutter zu helfen. Sein Vater saß in deutscher Gefangenschaft, hinter dem Stacheldraht eines Offizierslagers. Pawełeks Beziehung zu Frau Irma wurde fürsorglich und noch schmerzlicher.
      Dr. Seidenman war vor Kriegsausbruch gestorben, Frau Irma lebte allein und wechselte ständig ihre Wohnung auf der arischen Seite. Pawełek hatte immer für sie Zeit. Auf seine Hilfe konnte sie bauen. Sie versuchte, das wissenschaftliche Archiv ihres Mannes zu retten, damit sich die Röntgenologie nach dem Kriege weiterentwickeln könne, dank Dr. Ignacy Seidenmans Entdeckungen und Beobachtungen. Pawełek half ihr. Sie wurde immer schöner. Er fürchtete um ihr Leben. Eifersucht plagte ihn. Frau Irma war etwas über dreißig Jahre alt, verschiedene Männer umkreisten sie.
      Pawełek machte in der Untergrundschule Abitur. Er verdiente ein wenig, indem er beim Handel mit Kunstwerken vermittelte. Kultivierte und früher begüterte Menschen verkauften in der Okkupationszeit Bilder, Möbel und Bücher. Sie mußten leben. Neue Vermögen entstanden, manchmal riesengroße, deren Ursprünge nicht immer sauber waren, entstammten sie doch zum Teil dem
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