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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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wahr?«
      »Ja«, antwortete sie, »beide dienten einst im gleichen Regiment. Erlauben Sie, ich muß mir etwas überziehen.«
    Er lächelte unbeholfen, ging aber nicht. Sie stand auf und zog sich im Schlafzimmer an. Sie hörte sein Räuspern im Wohnzimmer, zog schnell ein Kleid und Strümpfe an und warf einen Blick in den Spiegel. Nein, ich mache mir kein Make-up, dachte sie, das wäre in diesem Moment nicht am Platze. Außerdem entschloß sie sich, schnellstens die Wohnung zu wechseln. Die Papiere auch. Soll ich Warschau verlassen? Aber wohin? Das hat doch keinen Sinn. Nur in Warschau besitze ich einen Rückhalt, hier sind freundliche Menschen. Und wozu die Wohnung, die Papiere wechseln? Ich heiße doch Maria Magdalena Gostomska, ich bin Offizierswitwe. Bessere Papiere kriege ich nie. Dieser arme Dr. Korda hat keine Ahnung, daß ich Jüdin bin. Bin ich Jüdin? Unsinn! Ich heiße Gostomska. Nie bin ich jemand anderes gewesen.
    Während sie sich schnell und flüchtig vor dem Spiegel die Haare machte, empfand sie plötzlich Groll gegen Pawełek, der sie für Irma Seidenman hielt, der sich ihrer als Jüdin erinnerte. Ich bin Frau Gostomska, Pawełek, mein Mann hat zusammen mit deinem Vater im gleichen Regiment gedient! Sie warf den Kamm geräuschvoll auf die Ablage und wandte sich vom Spiegel weg. Ich werde verrückt, dachte sie, ich muß mich beherrschen, ich muß mich in der Hand behalten, sonst verwirrt sich's mir im Kopfe. Verzeih mir, Pawełek, ich weiß ja, daß ich dir mein Leben verdanke! Sie warf von neuem einen Blick in den Spiegel und lächelte. Seit langem wußte sie, daß Pawełek in sie verliebt war. Schon vor dem Krieg hatte sie den lieben, höflichen Jungen zufällig auf der Straße getroffen und zum Eis in die Europejska eingeladen. Dort hatte er sein hochrotes, verschämtes Gesichtchen über den Eisbecher gebeugt. Und sooft er von nun an Irma die Hand küßte, wurde er rot und schurrte zu laut mit den Füßen. Sie sah, wie schnell aus dem Jungen ein junger Mann wurde. Bestimmt lief er hübschen Mädchen nach, küßte sie in dunklen Winkeln und träumte von ihnen. Aber von ihr träumte er auch. Vor einem Jahr fuhren sie zusammen in einer Rikscha. Er saß ganz steif und verspannt in unbequemer Stellung und zur Seite gelehnt, um ja nicht ihren Schenkel zu berühren. Als die Rikscha heftig einbog und Irma mit ihrem ganzen Körper an ihn gepreßt wurde, rief er heiser: »Entschuldigen Sie!« Seine Hand berührte ihren Arm. Er zog sie zurück, war blaß und hatte kranke Augen wie ein sterbendes Tier. Er ist immer noch in mich verliebt, dachte sie damals nicht ohne freudige Befriedigung. Er war keine zwanzig Jahre alt, sie fünfzehn Jahre älter. Er ist so hübsch, dachte sie, vor allem aber amüsant in seiner Ungeschicklichkeit und seinem Leiden. Sie wußte, das würde vergehen. Sie mochte Pawełek. Er war ein netter, gut erzogener, vernünftiger Junge, er verband sie mit ihrer Vorkriegs-Vergangenheit, er gehörte zur Landschaft um ihren verstorbenen Mann. Sooft Pawełek sie in ihrer Wohnung in  Mokotów  besuchte, erwähnte sie gern die vergangenen Zeiten. Dr. Ignacy Seidenman hatte Pawełek auch gemocht und ihn, wenn er ihn traf, nach seinen Fortschritten in der Schule gefragt und mit Bonbons beschenkt. Dr. Ignacy Seidenman liebte überhaupt Kinder, er litt ein bißchen darunter, daß er selbst keinen Sohn haben konnte. Pawełeks Anwesenheit, sein anziehendes, ein wenig befangenes Verhalten wirkte lindernd auf Irma. Einmal aber, bei einem seiner Besuche, fing sie seinen Blick auf. Es war der Blick des Mannes, der eine Frau begehrt. Er war sich darüber nicht im klaren, sondern immer noch ungeschickt und aufrichtig in seinen jungenhaften Gefühlen. Doch von diesem Tage an nahm Irma sich in acht. Pawełeks Unruhe ging auf sie über, sie war nicht mehr so frei. Vielleicht mied sie sogar Pawełeks Besuche. Mehr geschah nicht.
      Das bedauerte sie erst in dem Café auf der Avenue Kléber dreißig Jahre später. Da sagte Paweł: »Sie waren die Leidenschaft meiner Jugend.«
      Er trug einen grauen Anzug, ein hellblaues Oberhemd, eine schlicht gebundene Krawatte und blickte sie durch scharfe Gläser in dunkler Fassung an. Das dichte, jetzt graue Haar fiel ihm immer noch in die Stirn. Sie legte ihre alte, ausgetrocknete Hand auf die seine.
      »Sagen Sie das nicht. Über eine alte Frau soll man nicht scherzen.«
    Aber sie wußten beide, daß er die Wahrheit sagte. Doch waren sie schon jenseits ihrer
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