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Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag

Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag

Titel: Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
Autoren: Garth Nix
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zurückgestuft werden oder, schlimmer noch, materialisiert werden – seiner Kräfte und Erinnerungen beraubt und irgendwo in die Sekundären Reiche geschickt werden als lebendiges, atmendes Baby.
    Natürlich war die Strafe, wenn man irgendetwas Wichtiges übersehen hatte, noch schlimmer. Er könnte auch dafür materialisiert werden, aber dann nicht in ein annähernd menschliches Wesen und auch nicht auf eine Welt mit intelligentem Leben. Und selbst das war nicht das Schlimmste, was passieren konnte. Es gab viel schrecklichere Schicksale, aber er weigerte sich, darüber nachzudenken.
    Der Inspektor sah noch einmal zum Käfig, zu der Glaskassette und dem Kristall hinüber. Er zog ein Opernglas aus einer Innentasche und schaute hindurch. Noch immer konnte er nichts Ungewöhnliches entdec ken. Sicherlich, sagte er sich, würden die Wächter doch wissen, wenn irgendetwas nicht stimmte?
    Er trat vom Zifferblatt herunter und räusperte sich.
    »Alles in Ordnung, gut gemacht, ihr Wächter«, sagte er. »Die Parole für den nächsten Inspektor ist ›Distel, Palme, Eiche und Eibe, ich bin ein Inspektor, solang ich es bleibe.‹ Habt ihr das? – Prächtig – nun, dann will ich mich mal aufmachen!«
    Der Zwölf-Uhr-Wächter salutierte. Noch einmal lüfte te der Inspektor seinen Hut, machte auf dem Absatz kehrt und legte seine Transferplatte auf den Boden, wobei er die Worte anstimmte, die ihn zum Haus bringen würden. Die Bestimmungen sahen vor, dass sein Weg über das »Amt für ungewöhnliche Aktivitäten« auf der viertausendfünfzehnten Etage führte, um dort Bericht abzulegen, aber er war unruhig und wollte direkt zu seinem eigenen bequemen Arbeitszimmer im zweitausendzehnten Stock zurück und zu einer schönen Tasse Tee.
    »Von des toten Sterns Düsternis in helles Lampenlicht, zurück in mein Haus und nie mehr ins Dunkel nicht!«
    Bevor er sich auf die Platte stellen konnte, kam etwas Kleines, Dünnes und sehr Schwarzes über die goldene Linie geschossen, flitzte zwischen den Beinen des Zwölf-Uhr-Wächters durch, huschte über den linken immateriellen Stiefel des Inspektors und sprang auf die Plattform. Das blaue und grüne Obst in der Glasur blitzte auf, und die Platte mitsamt dem schwarzen Strich verschwand in einer ziemlich übel und nach Gummi riechenden Rauchwolke.
    »Alarm! Alarm!«, riefen die Wächter und liefen vom Zifferblatt, um dorthin auszuschwärmen, wo eben noch die Platte gelegen hatte, wobei ihre Klingen aufgeregt in alle Richtungen zischten und zwölf unmöglich laute Wecker irgendwo aus dem Innern ihrer metallenen Körper schrillten und schrillten. Der Inspektor sank vor den Wächtern auf den Boden und begann schluchzend an einer Ecke seines Taschentuchs zu kauen. Er wusste, was das für ein schwarzer Strich gewesen war. Es war ihm blitzartig und voller Entsetzen klar geworden, als er vorbeizischte.
    Es war eine Zeile handschriftlichen Textes. Jenes Textes nämlich, der noch in dem Kristall eingeschweißt, in der unzerbrechlichen Kassette in dem Silber-Malachit-Käfig eingeschlossen, auf der Oberfläche einer toten Sonne verankert und von metallenen Wächtern behütet sein sollte.
    Nur dass jetzt keiner dieser Sachverhalte mehr zutraf.
    Eines der Fragmente des Vermächtnisses war entkommen – und er alleine trug die Schuld daran.
    Schlimmer noch, es hatte ihn berührt, es hatte seine Haut durch die immateriellen Stiefel gestreift. Deshalb kannte er jetzt den Inhalt des Textes, und das war ihm nicht erlaubt. Noch schockierender war, dass das Vermächtnis ihm seine wahre Pflicht ins Gedächtnis gerufen hatte. Zum ersten Mal seit Jahrtausenden war ihm klar, wie verdammt schief die Dinge gelaufen waren.
    »In die Obhut meines guten Montags gebe ich die Verwaltung des Unteren Hauses«, flüsterte der Inspektor. »Bis die Zeit kommt, wo der Erbe oder die Repräsentanten des Erben Montag auffordern, all jene Ämter, Besitztümer, Rechte und Realrechte abzutreten, die Montag treuhänderisch verwaltet.«
    Die Wächter verstanden ihn nicht, oder vielleicht konnten sie ihn auch bei dem Lärm, den ihre inneren Alarmwecker veranstalteten, gar nicht hören. Sie waren ausgeschwärmt und suchten vergeblich die Oberfläche des toten Sterns ab, wobei ihre Augen blendend helle Lichtstrahlen in die Dunkelheit aussandten. Der Stern war nicht groß – nicht mehr als einen Kilometer im Durchmesser –, aber das Fragment war längst verschwunden. Der Inspektor wusste, dass es seine Räume schon verlassen haben und in
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