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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Autoren: Jules Verne
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Widerstand leisten?… Warum nicht? Die einhundertundfünfzig Soldaten, welche auf dem Platze unten aufgepflanzt waren, erschreckten den Kaw-djer nicht, ebensowenig das Kriegsschiff, das im Hafen vor Anker lag. Selbst wenn es noch mehr Soldaten hergeführt hätte so erreichten sie gewiß nicht eine Kopfzahl, die der der hostelischen Bürgergarde überlegen war. Das Schiff konnte allerdings einige Geschosse nach Liberia senden, die mehr Lärm als Schaden verursachen würden. Aber dann?… Die Munition wäre bald erschöpft und dann mußte es die Heimreise antreten, falls es die hostelischen Kanonen nicht stark beschädigt hätten.
    Anmaßend wäre ein Widerstand gewiß nicht gewesen. Aber der Widerstand bedeutete Kampf und Blutvergießen. Sollte die hostelische Erde wieder mit diesem kostbaren Naß getränkt werden, von dem sie schon gesättigt war? Um was zu verteidigen? Die Unabhängigkeit der Hostelianer? Ja, waren denn die Hostelianer, die sich so bereitwillig dem Joche seines Willens gefügt hatten, waren die unabhängig, frei zu nennen? Er würde daher nur seine eigene Autorität schützen wollen! Wozu das? Rechtfertigten die außerordentlichen Verdienste, die er sich um den Staat erworben hatte, das Opfer vieler Menschenleben?
    Hatte er, seitdem er die Zügel der Regierung in Händen hielt, etwa Größeres geleistet als andere Potentaten, welche die Welt unter ihren Willen beugen?
    So weit war der Gedankengang des Kaw-djer gediehen, als der chilenische Offizier eine Bewegung machte. Er begann die Zeit lang zu finden. Der Kaw-djer begnügte sich, ihn mit einer Handbewegung um weitere Geduld zu bitten und gab sich wieder seinen schweigenden Betrachtungen hin.
    Nein, er war weder besser noch schlechter als andere Regenten, aus dem einfachen Grunde, daß die Herrscherwürde eine Tätigkeit mit sich bringt, der niemand entfliehen kann. Wenn auch seine Intentionen immer die besten gewesen waren, seine Absichten die selbstlosesten, er hatte sich doch aller Verbrechen schuldig gemacht, die er den anderen Häuptern der Regierungen stets zum Vorwurf gemacht hatte.
    Der Vorkämpfer der individuellen Freiheit hatte Befehle erteilt. Der Bekenner der Gleichberechtigung hatte über seine Brüder zu richten gewagt. Der Friedliebende hatte Krieg geführt. Der altruistische Philosoph hatte zur Verminderung der Bevölkerungszahl beigetragen und sein Abscheu vor allem Blutvergießen hatte nur zu weiteren Metzeleien geführt.
    Jeder seiner Akte stand in Widerspruch mit seinen Theorien und immer und überall war er zur Erkenntnis seiner früheren Irrtümer gelangt. Zuerst hatten sich ihm die Menschen in ihrer angeborenen Unvollkommenheit und Unfähigkeit gezeigt; wie kleine Kinder mußte er sie an der Hand fassen und leiten. Dann hatte ihm eine Kette von Ereignissen die Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt bewiesen. Ferner hatte er gelernt, daß bei einem Volke wie beim Individuum das Solidaritätsgefühl laut spricht und daß keiner auf die Dauer inmitten der anderen isoliert leben kann. Und selbst wenn einer den unerreichbaren Standpunkt einnehmen würde, den der Kaw-djer einst als sehr möglich angesehen, so hatte dieses Volk doch mit den anderen Völkern der Erde zu rechnen!
    Zuerst waren die Patagonier gekommen und der Kaw-djer mußte, wie jeder Regent in seiner Lage getan hätte, kämpfen und töten. Dabei hatte ihm Patterson bewiesen, wie tief die menschliche Natur sich herabwürdigen kann, und er war in die Notwendigkeit versetzt worden, über einen Teil des Erdplaneten zu verfügen, als ob dieser sein alleiniges Eigentum sei, aus dem er den anderen hinauswies. Er hatte gerichtet, das Urteil gesprochen, verbannt – wie jene, die er mit dem Titel »Tyrannen« belegte.
    Dann kam die Entdeckung der Goldminen. Die Tausende von Abenteurern, welche die Insel Hoste überschwemmten, hatten in beredter Form den Beweis für das Solidaritätsgefühl der Nationen geliefert. Gegen diese Geißel hatte er keine anderen Mittel finden können, außer den bereits gekannten, angewandten. Und dieses Mittel hieß – Gewalt, Unterdrückung und Tod. Auf sein Gebot war Menschenblut in Strömen geflossen.
    Und jetzt hatte er sich mit diesem Ultimatum der chilenischen Regierung zu beschäftigen.
    Sollte er nochmals das Signal zum blutigen Kampf geben, zu einem Kampfe, der an Grausamkeiten seine Vorgänger vielleicht noch übertraf? Und nur aus dem Grunde, um den Hostelianern ihr Oberhaupt zu erhalten, welcher sich in gar nichts von den Regenten
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