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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Autoren: Jules Verne
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Chilenen ein zweites Dokument hinreichte. Es muß noch meine persönliche Lage zur Sprache kommen. Wollen Sie dieses Schriftstück auch durchlesen, es enthält meine diesbezüglichen Verfügungen.«
    Der Offizier tat, wie ihm geheißen. Je weiter er las, desto erstaunter wurde der Ausdruck seines Gesichtes.
    »Wie, rief er endlich, als er es überlesen hatte, ist dieser Vorschlag Ihr voller Ernst?
    – Mein voller Ernst! bestätigte der Kaw-djer. Das Einhalten dieser meiner Erklärung soll sogar die Bedingung
sine qua non
für den anderen Vertrag sein! Nehmen Sie die Bedingung an?
    – Augenblicklich!« beeilte sich der Offizier zu sagen.
    Wieder wurden die Unterschriften gewechselt.
    »Jetzt sind wir fertig miteinander, schloß der Kaw-djer endlich. Schiffen Sie Ihre Leute ein, sie dürfen unter keiner Bedingung die Insel Hoste wieder betreten. Morgen kann das neue Regime in Kraft treten. Ich werde das Meinige tun, daß keine Schwierigkeiten gemacht werden! Aber bis dahin fordere ich Stillschweigen!«
    Kaum war der Offizier fortgegangen, so schickte der Kaw-djer um Karroly. Ehe der Indianer eintraf, schrieb er einige Zeilen, denen er den mit der chilenischen Regierung abgeschlossenen Vertrag beilegte, dann verschloß er alles sorgfältig. Diese Arbeit erforderte wenige Minuten und war längst beendet, als der Indianer eintrat.
    »Du mußt all diese Gegenstände auf die Wel-kiej schaffen,« sagte der Kaw-djer und reichte Karroly eine lange Liste hin, auf der außer einer beträchtlichen Menge von Lebensmitteln Pulver, Kugeln und Samen notiert waren.
    Trotz seiner gewohnheitsmäßigen blinden Ergebenheit konnte sich Karroly nicht enthalten, einige Fragen zu stellen. Wollte der Kaw-djer verreisen? Warum nahm er nicht lieber den Kutter an Stelle der alten Schaluppe? Der Kaw-djer hatte nur eine Antwort auf alle Fragen:
    »Gehorche!«
    Karroly ging und der Gouverneur ließ Dick rufen.
    »Mein Kind, sagte er, als er ihm das geschlossene Schriftstück reichte, hier übergebe ich dir ein wichtiges Dokument. Es gehört dir. Du darfst es aber erst morgen nach Sonnenaufgang lesen.
    – Es wird geschehen,« versprach Dick.
    Sein Staunen war groß, aber er äußerte es nicht, verriet es auch nicht durch das kleinste Zeichen, so stark war er in der Selbstbeherrschung. Er hatte einen Befehl erhalten. Ein Befehl muß vollzogen, aber nicht besprochen werden.
    »Gut, sagte der Kaw-djer. Jetzt geh’, mein Kind, und halte dich genau an meine Instruktionen.«
    Jetzt war der Kaw-djer allein… Er näherte sich dem Fenster und hob den Vorhang in die Höhe. Lange blickte er hinaus, um seinem Gedächtnisse das Bild einzuprägen, das er nie mehr mit leiblichen Augen erblicken sollte. Vor ihm lag Liberia und weiter rückwärts Neudorf und noch weiter hinaus ein Wald von Masten der Schiffe, die im Hafen ankerten. Es wurde langsam Abend und das Tagewerk neigte seinem Ende zu. Jetzt begann sich die Straße von Neudorf zu beleben, dann, als die Schatten der Nacht länger wurden, beleuchteten sich die Fenster. Diese Stadt, diese frohe Tätigkeit, diese Ruhe, diese Ordnung, dieses Glück – es war sein Werk. Die ganze Vergangenheit erstand vor seinen Blicken, und ein Seufzer der Befriedigung und der – Ermattung entrang sich seinen Lippen.
    Jetzt war der Tag gekommen, wo er endlich an sich selbst denken durfte!
    Jetzt wollte er aus der Mitte dieser Menschen verschwinden, die er zu einem wohlhabenden, glücklichen und mächtigen Volke gemacht hatte. Den Wechsel der Regierung würde es kaum bemerken! Jetzt konnte er in der Freiheit seine Tage beschließen, wie er sein ganzes Leben freie Luft geatmet hatte.
    Das Scheiden bedeutete für ihn die Befreiung und kein Abschied sollte es betrüben. Er wollte vor der Abreise niemanden mehr in seine Arme schließen, weder den treuen Karroly, noch seinen Freund, Harry Rhodes, noch Halg und Dick, welche ihm teuer waren wie eigene Kinder. Wozu auch?
    Zum zweiten Male floh er die Menschen. Seine Liebe wurde wieder allumfassend, nahm die ganze Welt ein, wurde unpersönlich, war die Liebe eines Gottes und bedurfte dieser kindlichen Äußerungen nicht mehr. Ohne ein Wort, ohne jedes Zeichen wollte er verschwinden.
    Die Nacht war sehr finster.
    Wie Augen, die sich zum Schlummer schließen, löschten die Lichter in den Fenstern aus, bis auch das letzte sich verdunkelte. Und bald herrschte vollkommene Finsternis.
    Jetzt verließ der Kaw-djer den Regierungspalast und wandte seine Schritte Neudorf zu. Die Straße lag
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