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Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Autoren: Jules Verne
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einsam da, er begegnete niemand und hatte bald den Vorort erreicht.
    Die Wel-kiej schaukelte sich am Landungssteg. Er sprang hinein und löste die Taue. Mitten im Hafen sah er einen finsteren Koloß aus dem Wasser ragen – das chilenische Kriegsschiff; von dort hörte er jetzt Mitternacht schlagen. Der Kaw-djer wandte seine Blicke davon, stieß ab und setzte ein Segel.
    Die Wel-kiej setzte sich in Bewegung und glitt langsam aus dem Hafen, dann schoß sie schnell ins offene Meer hinaus, denn eine frische Nordwestbrise hatte sich in die Segel gelegt. Der Kaw-djer stand nachdenklich am Steuerrad und lauschte auf das Klatschen der Wellen, die sich an der Bordwand brachen.
    Als er einen letzten Blick zurückwerfen wollte, war es zu spät. Das Schauspiel war zu Ende gespielt und der Vorhang gefallen. Neudorf, Liberia, die ganze Insel Hoste waren schon in der Nacht untergegangen. Alles verschwand im Nebel der Vergangenheit.
Fünfzehntes Kapitel.
Allein!
    Beim ersten Sonnenstrahl öffnete Dick, welcher dem ihm gestellten Zeitpunkt auch nicht um eine Minute voreilen wollte, das Schriftstück, das ihm der Kaw-djer übergeben hatte.
    Es lautete:
     
    »Mein Sohn!
     
    Ich bin des Lebens müde und sehne mich nach Ruhe. Wenn Du diese Zeilen liest, werde ich die Kolonie bereits verlassen haben, um sie nie wieder zu betreten. Ihr Schicksal lege ich in Deine Hände. Du bist noch sehr jung für diese wichtige Aufgabe, aber ich kenne Dich und weiß, daß Du ihr gewachsen sein wirst!
    Halte treu den Vertrag ein, den ich mit Chile abgeschlossen habe, aber fordere strenge Reziprozität. Wenn die Goldlager erschöpft sein werden, bezweifle ich nicht, daß die chilenische Regierung selbst auf eine rein nominelle Oberherrschaft verzichten wird.
    Dieser Vertrag kostet für kurze Zeit den Hostelianern den Besitz der Insel Hoorn, die mein persönliches Eigentum wird. Nach meinem Tode aber gehört sie ihnen wieder. Dorthin will ich mich jetzt zurückziehen, dort will ich die mir noch vergönnten kurzen Lebenstage verbringen und auf diesem freien Boden will ich sterben.
    Sollte Chile seine Versprechungen nicht halten, dann weißt Du, wo ich zu finden bin. Diesen einen Fall ausgenommen, wünsche ich, daß Du meinen Aufenthaltsort vergißt. Es ist keine Bitte, die ich an Dich richte, sondern ein Befehl – der letzte, den ich ausspreche.
    Lebe wohl! Habe immer ein Ziel vor Augen: die Gerechtigkeit! Hasse nur eines: das Sklaventum! Und der einzige Gegenstand deiner Liebe sei – die Freiheit!«
    Zur selben Stunde, als Dick, bis ins Innerste erschüttert, das Testament des Mannes las, dem er so unendlich viel verdankte, entfloh dieser mit sorgenvoll gefurchter Stirne als kaum wahrnehmbarer Punkt auf der weiten Wasserfläche. An Bord der Wel-kiej hatte sich nichts verändert; er stand am Steuer und hielt das Rad mit fester Hand.
    Jetzt übergoß die Morgenröte den Horizont mit rosigem Schimmer und bald zitterten die ersten Sonnenstrahlen auf der glatten Oberfläche des ewigen Meeres. Der Kaw-djer hob den Kopf, seine Blicke suchten den Süden. In dem immer heller werdenden Morgenlichte tauchte die Insel Hoorn langsam empor. Mit leidenschaftlicher Freude hingen die Augen des Kaw-an den verschwommenen Nebelmassen, die über dem Ziele seiner Reise schwebten; nicht derjenigen, die in dieser Stunde ihrem Ende nahte, sondern der langen Reise seines Erdenwallens.
    Gegen zehn Uhr morgens landete er an einer kleinen Bucht, die gegen die Brandung Schutz bot. Sogleich sprang er ans Land und barg die Ladung der Wel-kiej an dem Strande. Dieses Geschäft erforderte eine halbe Stunde.
    Dann – hastig wie ein Mensch, welcher eine ihm schwer fallende Pflicht mit einem Schlage abtun will – hob der Kaw-djer die Art, um sie mit voller Wucht in die Flanken der Wel-kiej niedersausen zu lassen. Das Wasser drang gurgelnd in die Bresche ein und die Wel-kiej, zum Tode verwundet, erzitterte in allen Fugen, neigte sich langsam auf die Seite, schwankte noch ein wenig und dann hatten sie die Wogen verschlungen…
    Ernst blickte ihr der Kaw-djer nach. Es tat ihm im Inneren sehr weh. Er schämte sich der Zerstörung der treuen Schaluppe, der Gefährtin vieler Jahre und empfand heftige Vorwürfe wegen seiner Tat; es war ihm, als ob er einen Mord begangen habe. Aber mit diesem Morde war die Vergangenheit getötet worden. Jetzt war der letzte Faden, der ihn mit der Welt verknüpft hatte, endgültig durchschnitten.
    Den ganzen Tag beschäftigte er sich damit, die mitgebrachten
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