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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin
Autoren: Janine Wilk
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sagte Nyarlath an Fiorella gewandt und lachte auf. »Angst, Schrecken und Furcht sind unsere Nahrung, ihr Menschen seid für uns ein Festmahl. Francesca hatte für mich bisher nur wenig Genuss versprochen, doch nicht jetzt. Noch nie habe ich so viel herrliche Angst an ihr geschmeckt wie in diesem Augenblick.« Er beugte sich zu Fiorella hinunter. »Sie will dich nicht verlieren, Alte!«, zischte er ihr ins Ohr. »Sie liebt dich über alles.«
    Fiorella drehte den Kopf so weit von Nyarlath weg, wie es ihr möglich war. »Francesca, bitte!«, flehte sie. »Du weißt, dass mich Schreckliches erwartet. Lass es bitte enden.«
    Francesca sah wie betäubt zu ihr auf. Ihre Großmuttermeinte den Tumor. Die monatelangen Schmerzen und die Qualen, die vor ihr lagen, ehe sie endlich vom Tod erlöst werden würde.
    »Willst du mich leiden sehen?«
    »Natürlich nicht.« Francesca würde es kaum ertragen können, Nonna so zu sehen.
    »Dann hilf mir!«, bat sie so eindringlich, dass es Francesca fast das Herz zerschnitt.
    Sie packte den Dolch, aber sie konnte sich immer noch nicht regen.
    »Wie zwei Blüten an dem Rosenstock für alle Ewigkeit verbunden«, flüsterte Fiorella. »So sind auch unsere Herzen nicht zu trennen ohne Wunden.«
    Francesca nickte. Sie hatte verstanden, was Fiorella ihr damit sagen wollte. Sie wollte zu Leonardo und glaubte fest daran, im Tod wieder mit ihm vereint zu sein. Das war alles, wonach sie sich noch sehnte.
    »Wenn du es mir nicht sofort gibst, wird sie sterben!«, brüllte Nyarlath.
    Irrte sie sich oder lag in seiner Stimme Angst?
    »Nonna …«, wisperte Francesca. Es war ein letztes Flehen, eine Bitte, dass sie doch nicht tun musste, was Fiorella von ihr verlangte.
    »Bitte!«, formte Nonna lautlos mit den Lippen.
    Francesca musste sich dazu zwingen, den Blick abzuwenden. Alles vor ihren Augen verschwamm zu einer formlosen Masse aus Farben, so schnell füllten sie sich mit Tränen.
    »Nein«, schrie Nyarlath. Augenblicklich setzte ein Bebenein, das in seiner Stärke und Intensität alle bisherigen übertraf. Teile der Decke lösten sich und knallten als gefährliche Geschosse zu Boden. Francesca hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr wegsackte.
    »Mach es!«, rief Fiorella ihr über den Lärm hinweg zu.
    Francesca packte den Dolch mit beiden Händen, hob ihn in die Höhe und stach mit voller Kraft auf das Necronomicon ein. Schwarze Wirbel schossen wie eine Blutfontäne aus dem Buch hervor und schleuderten Francesca rückwärts durch den Ballsaal. Die Stimmen der Jenseitigen erhoben sich zu einem lauten Schrei, erfüllt von Wut und Schmerz, und vermischten sich mit dem zerstörungswütigen Lärm des Erdbebens. Francesca presste die Hände auf die Ohren. In ihrem Kopf war nur noch Platz für einen einzigen Gedanken: Nonna.
    Dann war es plötzlich still.
    Francesca richtete sich hustend auf und sah sich in dem völlig verwüsteten Saal um.
    Nyarlath war verschwunden, das Beben verklungen.
    »NONNA!« Francescas Schrei hallte durch den Raum.
    Wie in Zeitlupe sah sie Fiorella zu Boden sinken.
    Francesca stolperte über einen Schutthaufen auf sie zu und kniete sich neben sie.
    »Dem haben wir es aber gezeigt!«, sagte Fiorella mit einer seltsam schwachen Stimme. »Hast du dieses Scheißbuch zerstört?«
    Francesca sah zum Koffer. Das Salz hatte sich schwarz verfärbt, vom Necronomicon war nicht einmal mehr ein Fetzen Papier übrig geblieben.
    »Es ist verbrannt. Es wird niemandem mehr schaden können.«
    Freude und Stolz zeichneten sich auf Fiorellas Gesicht ab. »Wir haben es geschafft, Francesca! Wir haben beide Flüche aufgehoben. Die Medicis sind endlich frei.« Auf eine kaum fassbare Weise wirkte sie plötzlich friedlicher. Als wäre sie von einer jahrelangen Last befreit worden.
    An Fiorellas Hals schimmerte ein einzelner Blutstropfen. Nyarlath hatte den Fluch nicht mehr beenden können, doch er hatte seine Drohung wahr gemacht.
    Sie bettete Fiorellas Kopf auf ihren Schoß. »Es tut mir so leid, Nonna«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
    »Es gibt nichts, was dir leidtun muss«, widersprach Fiorella so heftig, dass sie einen Hustenanfall bekam und rasselnd nach Atem rang. »Ich wollte es so. Das ist genau das Ende, das ich mir gewünscht habe.«
    Fiorellas Brust hob sich immer langsamer, ihre Atemzüge wurden schwächer.
    Schritte näherten sich ihnen, aber Francesca sah nicht einmal auf. Selbst wenn Nyarlath doch nicht verschwunden war und jeden Moment hinter ihr stand, wäre
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