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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin
Autoren: Janine Wilk
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der Dolch überraschend scharf. Francesca schnappte nach Luft. Im Nu war ihre Hand mit einem See aus Blut gefüllt. Angeekelt wandte sie den Kopf ab und hielt ihre Hand über das aufgeschlagene Necronomicon. Wie Tränen der Trauer fielen die Blutstropfen auf die Seiten, dick und schwerfällig klatschten sie auf das Papier, verharrten einen Moment lang, um sich dann in Bewegung zu setzen und sich mit dem Buch zu verbinden. Trotz seines Bettes aus Salz brachte das Necronomicon die Kraft dafür auf, eine schwarze Nebelschwade entstehen zu lassen.Doch dieses Mal bildete sich daraus keine Säule. Es war die schwarze Hand, die Francesca schon einmal gesehen hatte, als Fiorella zum ersten Mal das Buch aufgeschlagen hatte. Obwohl sie nur aus Schwärze und Finsternis bestand, sah Francesca die Vertiefungen der Fingernägel und den Verlauf der Sehnen und Adern. Sie sah erschreckend menschlich aus. Die Hand stieg aus den Seiten hervor, doch dann verharrte sie regungslos. Intuitiv wusste Francesca, was sie zu tun hatte. Mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht legte sie ihre eigene blutverschmierte Hand auf die Hand des Necronomicons, Finger an Finger. Wie von einem Blitzschlag wurde sie von der Macht des Necronomicons getroffen. Sie pulsierte durch ihren Körper und erfüllte sie mit einer ungeahnten Energie. Die Stimmen der Jenseitigen stießen Schreie des Triumphs aus! Francesca war es in diesem Moment völlig gleichgültig, ob die Stimmen nur in ihrem Kopf oder im ganzen Palazzo zu hören waren. Noch nie hatte sie sich so stark gefühlt. Sie hatte sich mit dem Necronomicon verbunden, sie war nun seine Meisterin, genauso wie es Alessandro einst für seine Nachfahren geplant hatte.
    Alles schien nun möglich zu sein.
    Mit Bedauern und einem Gefühl des Verlustes spürte sie, wie sich die schwarze Hand von der ihren löste. Sie öffnete die Augen. Der Nebel war verschwunden und mit ihm das berauschende Gefühl. Wahrscheinlich wollten die Jenseitigen sie damit dazu verleiten, die Macht des Buches sofort anzuwenden. Doch Francesca kam überhaupt nicht in Versuchung: Sie war nicht mehr alleine. Direkt vor ihr standNyarlath, Fiorella hielt er fest an sich gepresst. Die Stimmen der Jenseitigen hatten Francesca anscheinend verraten.
    »Seid mir gegrüßt, Meisterin des Necronomicons«, sagte er spöttisch.
    »Francesca, ist alles in Ordnung?«, fragte Fiorella besorgt.
    »Ja … ja, mir geht es gut«, stammelte sie. Nur mit Mühe konnte sie sich von Fiorellas Anblick losreißen, doch dann kam ihr eine Idee.
    »Lass meine Großmutter los und dann verschwinde zurück in deine Welt!«, befahl sie Nyarlath. Leider klang ihre Stimme dabei nicht ganz so selbstsicher, wie sie es gerne gehabt hätte.
    »Tut mir leid, Meisterin, doch du überschätzt deine Macht«, erwiderte Nyarlath und es war ihm anzuhören, dass es ihm ganz und gar nicht leidtat. »Gib mir das Buch oder sie wird sterben!«
    Er zog Fiorella noch näher zu sich heran und drückte seine Kralle an ihren Hals. Es war diejenige mit der roten Spitze.
    »Diese Kralle enthält ein Gift«, informierte Nyarlath sie. »Sobald es in den Blutkreislauf eindringt, gibt es keine Rettung mehr. Du solltest mir das Buch geben, ehe ich versehentlich ihre Haut einritze.«
    »Hör nicht auf ihn, Francesca«, beschwor Fiorella ihre Enkelin. »Du hast vielleicht nicht die Macht, Nyarlath etwas zu befehlen, aber Alessandro hat dir gesagt, wozu du als Meisterin des Buches fähig bist. Mach, was wir besprochen haben, denk nicht an mich. Beende das alles!«
    Francesca starrte verständnislos auf ihre Großmutter. »Was meinst du denn …« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Die Erkenntnis dessen, was Fiorella damit sagen wollte, traf sie so unvermittelt, dass ihr schwindelig wurde. Ihre Großmutter konnte doch nicht ernsthaft von ihr verlangen, dass sie ihren Tod in Kauf nahm, nur um das Buch zu zerstören?
    Francesca schüttelte entsetzt den Kopf. »Nonna, das kann ich nicht tun. Das … das ist Venedig nicht wert.«
    »Aber du bist es wert, meine Kleine. Wir müssen dem Fluch, der auf den Medicis liegt, ein Ende bereiten. Wir müssen unsere Schuld begleichen.«
    Francesca konnte sich nicht bewegen. Alles in ihr geriet in eine Art Strudel, der sie keinen klaren Gedanken fassen ließ. Sie starrte auf das Necronomicon, den Dolch in ihrer Hand, dann auf Fiorella und Nyarlath. Sie kam sich vor wie im schlimmsten Albtraum ihres Lebens, doch dieses Mal gab es kein Erwachen.
    »Sie wird es nicht machen«,
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