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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin
Autoren: Janine Wilk
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es ihr gleichgültig. Sie konnte ihre Augen nicht von Fiorella lassen, fast so, als könnte ihr Blick sie am Leben erhalten. Erst als sich ihr eine warme Hand von hinten auf die Schulter legte, sah sie auf.
    »Mama?«
    Mehr brachte Francesca nicht heraus. Ihre Mutter war tatsächlich nach Venedig gekommen!
    »Du bist nicht nach Mestre gegangen, ich wusste esdoch!«, setzte sie mit scharfer Stimme an, doch dann fiel ihr Blick auf Fiorella. Sofort wich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht.
    »Es … es ist Gift«, stammelte Francesca. »Sie stirbt.«
    Schockiert starrte Isabella auf ihre Mutter, als schien sie gar nicht zu begreifen, was Francesca ihr gesagt hatte.
    Dann kniete sie sich neben Fiorella auf den Boden und griff hastig nach ihrer Hand. »Mama, hörst du mich? Ich bin da, es wird alles wieder gut«, sagte sie eindringlich. »Halte durch, wir bringen dich so schnell wie möglich ins Krankenhaus.«
    Fiorella wandte sich ihr zu. Ein Hauch von Leben schien wieder in sie zurückzukehren. »Isabella! Du bist nach Hause gekommen, mein Mädchen«, flüsterte sie. Ein glückliches Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Endlich bist du wieder bei mir.«
    »Ja, Mama, ich bin wieder hier«, sagte Isabella mit erstickter Stimme. »Ich bin wieder zu Hause.«
    »Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das freut. Ich habe dich so vermisst.« Sie hob ihre Hand und strich zärtlich über das tränennasse Gesicht ihrer Tochter. »Nicht weinen, Isabella. Es ist Zeit für mich, zu gehen.«
    »Mama, es tut mir so leid, dass ich so selten …«
    »Ich weiß«, unterbrach Fiorella sie. »Mir tut es auch leid, meine Kleine. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, dass ich so eine sture Närrin war.«
    »Natürlich!« Sie strich Fiorella sanft die Haare aus dem Gesicht. »Ich liebe dich doch.«
    »Denk an meine Fehler zurück, wenn du dich einmal mitdeiner Tochter streitest. Die Frauen in dieser Familie sind einfach viel zu stur, das hat Leonardo auch schon immer gesagt.« Sie versuchte, den Kopf zu heben, doch Isabella drückte sie behutsam auf Francescas Schoß zurück. »Meinst du, ich werde meinen Leonardo wiedersehen?«
    »Da bin ich sicher. Papa wartet bestimmt schon auf dich.«
    Fiorella nickte. »Das Leben ist wie eine Fahrt in den Kanälen Venedigs. Du lässt dich vom Wasser vorantreiben, in dunkle Winkel und hellen Sonnenschein, du siehst Wunderschönes und Hässliches. Doch egal, wie lange deine Fahrt auch geht, irgendwann wirst du aufs Meer hinausgetrieben und eine neue Reise beginnt.«
    Fiorella suchte nach Francescas Hand und drückte sie fest an ihr Herz. »Du warst so unglaublich tapfer und mutig, ich bin stolz auf dich. Ich glaube, dein Herz hat dir mittlerweile gesagt, wo du hingehörst.«
    »Die letzte Medici gehört nach Venedig, oder nicht?«
    »Oh nein, du wirst nicht die letzte Medici sein.« Sie hielt inne. Das Sprechen schien sie viel Kraft zu kosten. »Weißt du, ich hatte nämlich eine Vision.« Sie hustete und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
    »Eine Todesvision?«, wollte Francesca ihr helfen.
    Fiorella schüttelte den Kopf. »Viel besser.« Auf ihrem Gesicht lag ein letztes Strahlen von Glück. »Ich habe deine Kinder gesehen, wie sie in unserem Palazzo gespielt haben. Zwei wundervolle, kleine Medici mit tizianroten Haaren.« Sie sprach nun so leise, dass Francesca ihre Worte kaum noch verstehen konnte.
    »Es war ein … so wunderschöner Anblick …«
    Ihre Stimme erstarb und Fiorella schloss die Augen.
    Erst als Francesca das erstickte Schluchzen ihrer Mutter hörte und sie Francesca sanft an den Schultern fasste, begriff sie, dass es nun vorbei war.
    Fiorella war gestorben.



 
    F rancesca stand auf dem Holzsteg, der zum Eingangstor der Friedhofsinsel San Michele führte, und blickte auf die grauen Wellen hinaus. Ein eisiger Wind strich über ihr Gesicht und verwirbelte ihre Haare, doch sie bemerkte es nicht einmal. Ihre Mutter trat schweigend neben sie. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, genau wie Francesca.
    Sie waren die Letzten, die San Michele verließen, der Rest der Familie war mit den Trauergästen bereits vorausgefahren. Francesca hatte den Eindruck gehabt, dass zur Beerdigung halb Venedig erschienen war. Die Kirche war voll von Menschen gewesen, die von Fiorella Abschied nehmen wollten, einige mussten sogar stehen.
    Knapp eine Woche war seit der Nacht vergangen, in der sie Nyarlath besiegt hatten, und Francesca hätte schon längst wieder in Deutschland in der Schule sein müssen,
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