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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte
Autoren: Boris Meyn
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Tischseite. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Blicke trafen. «David. Was ist passiert?» Am liebsten hätte er ihn an den Schultern gepackt und geschüttelt.
    «Ich habe nichts Verbotenes getan», stammelte David. «Ganz im Gegenteil. Ich beteuere dir meine Aufrichtigkeit. Wir wollten doch nur helfen.»
    Sören hatte bereits dem Polizeibericht entnommen, dass man David nicht alleine beschuldigte. Demnach sollte er mit einer Gruppe junger Männer zusammengewesen sein, von denen einige polizeibekannt waren. Unter anderem Peter Schulz, genannt der rote Peter, der sich allerdings, genau wie die übrigen Personen, der Verhaftung entziehen konnte. Schulz galt in der Stadt als Anarchist. Er hatte seinen Spitznamen bekommen, weiler wiederholt Ehren- und Denkmäler mit roter Farbe und sozialdemokratischen Parolen beschmiert hatte.
    «Helfen?», fragte Sören. «Der Tod dieses Mannes, den ihr vermöbelt habt, ist ja wohl eine Tatsache.» Den Zeugenaussagen nach sollte David mehrfach auf das spätere Opfer eingeschlagen haben. «Wie kommst du überhaupt mit solchen Individuen zusammen?»
    David blickte ihn entgeistert an. «Ich habe der Polizei bereits gesagt, dass wir nur schlichten wollten. Aber man hat meiner Aussage keinen Glauben geschenkt. Man gab mir nur zu verstehen, dass es einen Zeugen gebe, der anderes behauptet. Deswegen sitze ich nun hier.»
    «Du hast den Mann also nicht geschlagen?»
    David zögerte einen Augenblick. «Doch   … natürlich. Er wollte ja nicht von dieser Frau ablassen.»
    «Von einer Frau steht nichts im Protokoll.»
    «Die ist dann ja auch weggerannt, als ich mir den Typen vorgeknöpft habe. So, wie der sich aufgespielt hat, war das bestimmt ein ganz übler Louis. Er hatte die Frau am Handgelenk gepackt und wollte sie mit sich ziehen   … aber das war ihr nicht recht. Sie schrie die ganze Zeit auf ihn ein, er solle sie gefälligst loslassen. Steht das nicht im Protokoll? Ich habe es bei der Vernehmung alles erzählt.»
    «Nein.» Sören schlug sein Notizbuch auf. «Am besten ist es wohl, du erzählst von Anfang an. Und versuche, möglichst kein Detail auszulassen. Was machst du überhaupt schon in der Stadt? Ich habe dich erst übermorgen erwartet.»
    «Es war doch Silvester. Ich bin mit zwei Kommilitonen gekommen, Jan und Willi. Zum Feiern natürlich.»
    Sören warf dem Wärter, der neben der Tür stand, einen fragenden Blick zu, dann schob er David einen Zettel über den Tisch. «Schreib die Namen auf.»
    «Wir sind gegen Mittag angekommen und erst mal bei Onkel Tom eingekehrt. Es regnete ja Bindfäden   …»
    «Bei Onkel Tom, so so.» Sören runzelte die Stirn. Die Wirtschaft galt auswärtigen Parteigenossen unter der Hand als zentrale Anlaufstelle. Nach den Unruhen während des Hafenstreiks vor fünf Jahren standen die Räumlichkeiten unter besonderer Beobachtung durch Polizeivigilanten.
    «Ist als Genosse doch naheliegend.»
    Sören seufzte. «Wann bist du der Partei beigetreten?», fragte er. «Hast du dich bei deiner Verhaftung als Sozialdemokrat zu erkennen gegeben?»
    «Vor drei Jahren.» David nickte. «Ja, man hat ja meine Papiere durchsucht. Und das Parteibuch führe ich stets bei mir.»
    Kein Wunder, dass man Davids Aussage kaum Glauben schenkte, dachte Sören bei sich. Wenn man als bekennender Sozialdemokrat mit dem Gesetz in Konflikt geriet, war das doppelt schlimm. Vor allem hier in Hamburg. Die Kriminalpolizei arbeitete Hand in Hand mit der Politischen Polizei, und Sozialdemokraten galten den Gesetzeshütern immer noch als aufrührerisches Pack. «Erzähle weiter», forderte ihn Sören auf.
    «Wir haben dort ein paar Biere getrunken und sind so um neun Uhr zum Jungfernstieg gelaufen, wo bereits eine große Menge Schaulustiger stand. Es war ein richtiges Gedränge hinter den Absperrungen. Ich hatte nicht erwartet, dass sich so viele Menschen dort einfinden würden, aber inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, und immer mehr Menschen strömten heran. Obwohl man die ganze Straße für den Verkehr gesperrt hatte, kam es immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den Schutzleuten und einigen Droschkenfahrern, die sich über die Sperrung hinwegsetzten, weil sie ihre Fahrgästedirekt bis zu den anliegenden Hotels chauffieren wollten. Die Stimmung war ausgelassen, und die Menge johlte jedes Mal, wenn wieder ein Wagen versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. So ging das weiter bis Mitternacht. Vom Feuerwerk waren wir, wie die meisten, eher
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