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Die scharlachrote Spionin

Die scharlachrote Spionin

Titel: Die scharlachrote Spionin
Autoren: Andrea Pickens
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Tür hinter einer Tirade französischer Beleidigungen schloss.
    Puh. Die Süße hatte ein Vokabular, das jedem hartgesottenen Matrosen die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Sie hielt sich nicht länger damit auf, was sie mit der Straußenfeder anstellen würde - vielmehr ließ sie sich nun darüber aus, dass sie seine Kronjuwelen am liebsten mit Knoblauch und Olivenöl sautieren würde.
    Osborne nahm an, dass er sich glücklich schätzen konnte, zwar nicht besonders würdevoll, aber doch mit heilen Gliedmaßen geflüchtet zu sein. Seufzend fuhr er sich mit der Hand durch das zerwühlte Haar und stopfte die hinteren Hemdzipfel in seine Hose. Früher hätte er solche Szenen höchst unterhaltsam gefunden. Aber jetzt erschienen sie ihm nur noch höchst ... deprimierend.
    Er trat auf die Straße, hielt eine vorbeifahrende Droschke an und lehnte sich auf dem Weg zurück zum Grosvenor Square in die Polster. Die Müdigkeit steckte ihm in den Knochen, und das lag nicht nur an der leidenschaftlichen Nacht. Um die Wahrheit zu sagen, das verwegene Leben, das er führte, drohte ihn zu erschöpfen. Kann es sein, dass ich alt werde? Oder nur übersättigt? Schließlich war ihm doch früher immer alles so leichtgefallen.
    Zu leicht? Mag sein. Osborne befürchtete, dass er Gefahr lief, seiner Umgebung achtlos und kaltschnäuzig gegenüberzutreten. Es ist schwer, die Dinge wertzuschätzen, für die man sich nicht anstrengen muss, um sie zu besitzen, dachte er. Das Studium in Oxford hatte er in Windeseile durchlaufen und es dabei zu höchsten akademischen Ehren gebracht; also sollte er doch wohl klug genug sein, um den Grund seiner misslichen Stimmung herauszufinden. Aber irgendwie schien sich dieser Grund jeder Logik zu entziehen. Nüchtern betrachtet besaß er alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. Und doch schien das Wesentliche zu fehlen.
    Im Fenster erhaschte er einen Blick auf sich, starrte ein paar Sekunden auf das verschmutzte Glas. Blondes Haar, blaue Augen, die Gesichtszüge wie gemeißelt und so klassisch, dass die Ladys sie gewöhnlich als engelsgleich beschrieben. Ihm war klar, dass er als Liebling der Salons galt, ein begehrter Gast bei jeder Gesellschaft. Sein Gesicht hielt man für höchst attraktiv, seine Plaudereien für höchst amüsant, sein Benehmen für höchst einnehmend - sowohl die Frauen als auch die Männer. Zusammen mit einer makellosen Ahnentafel öffneten solche Eigenschaften die Türen zu den höchsten Kreisen.
    Attraktiv. Geistreich. Charmant. Die gewisperten Worte hinterließen einen schalen Geschmack in seinem Mund. Das alles klang so unglaublich hohl. Oberflächlich, ohne Tiefgang anstelle echter Substanz.
    In einem plötzlichen Regenschauer löste sich das Bild auf. Und worin bestand das wahre Bild dessen, was er wirklich verkörperte?
    Osborne schloss die Augen, presste die Fingerspitzen an die Schläfen und dachte darüber nach, wie er seine Zeit verbrachte. Einige Stunden in der Woche sah er militärische Dokumente für den Geheimdienst durch; das war der Teil seines Lebens, der sich am meisten lohnte. Diese Herausforderung wies die Langeweile in ihre Schranken. Vielleicht konnte er seinen Freund in Burrands Generalstab überzeugen, ihm mehr Arbeit zu geben.
    Der Gedanke half ihm, die grüblerische Stimmung abzuschütteln. Höchstwahrscheinlich würde er Major Fenimoore heute Abend beim Ball treffen. Und falls nicht, konnte er immer noch auf dem Heimweg im White's vorbeischauen.
    »Die Lage ist eher ungewöhnlich.« Mrs. Merlin schenkte sich eine Tasse Tee ein, bevor sie das Notizbuch öffnete.
    »So könnte man es auch nennen.« Lynsley stand auf und ging zum Kamin. Aber auch das lodernde Feuer konnte nichts daran ändern, dass ihm das Blut eiskalt durch die Adern zu rinnen schien. »Der Duke ist auf rein persönlicher Ebene an mich herangetreten. Wir kennen uns bereits seit Jahren. Obwohl er nicht die geringste Ahnung hat, worin meine wahren Pflichten in Whitehall bestehen, dachte er, ich könne ihm ganz vertraulich raten, was er tun solle.«
    »Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine private Tragödie, dass sein Großsohn an einer Überdosis Opium verstorben ist. Und nicht wie eine Angelegenheit, um die die Regierung sich zu kümmern hätte.«
    Der Marquis nickte. »Das dachte ich auch. Obwohl Sterling darauf beharrte, dass der junge Mann düstere Machenschaften entdeckt hatte, die hier in London am Werk sein sollen.«
    »Trauer kann die seltsamsten Einbildungen hervorrufen«,
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