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Die scharlachrote Spionin

Die scharlachrote Spionin

Titel: Die scharlachrote Spionin
Autoren: Andrea Pickens
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genau den Finger darauf legen konnte, woran es lag. Abgesehen von dem kleinen Stolpern auf dem Parkett erntete sie nichts als höchste Auszeichnungen in jedem Unterrichtsfach. Und doch, so ungern sie es sich auch eingestehen mochte: Die tägliche Routine war tatsächlich etwas trostlos geworden. »Anders als du versuche ich, an mehr zu denken als nur an die Freuden des Fleisches.«
    »Nun, deine Gedanken scheinen dich nicht besonders glücklich zu machen. Wenn du mich heute Nacht in meinem Bett besuchst, würde ich mich glücklich schätzen, den verdrießlichen Zug um deinen Mund in ein Lächeln zu verwandeln.«
    Sofia musste unwillkürlich lachen.
    »Va bene - schon viel besser!« Marco neigte den Kopf. »Was beschäftigt dich, bella?«
    »Nichts«, log Sofia. »Nur dass Siena und Shannon niemals in diesem Maße im Ballsaal ausgebildet worden sind.«
    Sie wandte den Blick ab und glättete ihre Röcke, versuchte, den Gedanken an ihre früheren Zimmergenossinnen zu verscheuchen. Während der Jahre in der Akademie waren die drei sich so nahe gekommen wie Schwestern. Das Elend, das sie geteilt hatten, war vielleicht doch ein stärkeres Band als Blut. Allen dreien war es gelungen, die rauen Armenviertel zu überstehen, ohne Familie, ohne Freunde. Namenlos. Schülerinnen, die in die Akademie aufgenommen wurden, führte man vor einen großen verzierten Globus, und während sich die Kugel um ihre eigene Achse drehte, wählten sie einen Namen aus den wirbelnden goldenen Lettern der Städte. Siena, Shannon, Sofia.
    Und jetzt ... Jetzt waren ihre Kameradinnen plötzlich verschwunden. Innerhalb der vergangenen acht Monate hatte man beiden schwierige, gefährliche Missionen anvertraut. Nicht nur, dass sie die Aufgaben mit Bravour erledigt hatten; sie hatten ebenfalls ein neues Leben begonnen und neue Verantwortlichkeiten außerhalb der Mauern der Akademie übernommen.
    Und sie als Einzige des eng zusammengeschweißten Trios zurückgelassen, als Einzige, die man nicht aufgefordert hatte, ihre Flügel in einer echten Mission zu spreizen.
    Sofia unterdrückte das aufwallende Selbstmitleid. Sie konnte nicht anders, als sich ein wenig einsam, ein wenig verloren zu fühlen. Unter den drei Freundinnen hatte sie immer die Stimme der Vernunft und der Zurückhaltung verkörpert, hatte die Waghalsigkeit ihrer Zimmergenossinnen gezügelt, um sie vor disziplinarischen Strafen zu schützen. Waren die Vorgesetzten etwa der Meinung, dass es ihr an Schneid fehlte, um ein echter Merlin zu sein?
    Rasch spülte sie die Zweifel mit einem kleinen Schluck Champagner hinunter, als sie sah, dass Marco die Augen besorgt zusammenkniff. »Ihre Siege bestehen in verwegenen Kämpfen und nicht in einem Griff in die Westentasche eines Gentlemans beim Walzer«, fuhr Sofia fort, »mag sein, dass ich das Schwert nicht ganz so scharf führen kann wie sie, aber im Reiten und Schießen kann ich ihnen auf jeden Fall das Wasser reichen. Und ich wage die Behauptung, dass ich im Kampf mit dem Feind durchaus bestehen kann.« Ihre Stimme klang eine Spur hitzig, ganz im Gegensatz zu ihrer gewöhnlich kühlen Selbstbeherrschung. »Es scheint, als wäre ich in letzter Zeit so tief gesunken, dass ich nur noch Pflichten der Salons übernehmen darf.«
    »Jeder Merlin wird für eine andere Mission in Anspruch genommen, Sofia.« Wie durch einen Zauber erschien plötzlich der Marquis of Lynsley im Bogen eines Alkovens. Gekleidet in düsteres Kohlenschwarz und Grau war er in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Zweifellos kein Zufall; der Marquis verbrachte die meiste Zeit in der Schattenwelt.
    »Eine Mission, die ihren einzigartigen Talenten und Fähigkeiten angemessen ist«, fuhr er fort, »denn nicht jeder Feind kann mit Stahl oder Schießpulver zur Strecke gebracht werden. Sie besitzen eine natürliche Würde und Eleganz, die viel schwieriger zu erlernen sind als Fechten oder die Schießkunst. Fähigkeiten, die es Ihnen gestatten, sich in höchsten Kreisen der Gesellschaft zu bewegen, ohne unnötig die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«
    Sofia spürte, wie ihr Herz flatterte. »Soll das heißen, dass Sie etwas ganz Bestimmtes im Sinn haben, Sir?« Lord Lynsley war nicht nur der Gründervater und wichtigste Wohltäter der Akademie, sondern auch der oberste Befehlshaber über die Elitetruppe der weiblichen Kriegerinnen, die innerhalb ihrer Mauern ausgebildet wurden. Er war es, der jedes Kind persönlich aussuchte und ihm einen Platz in der Schule anbot; und er war es, der
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