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Die scharlachrote Spionin

Die scharlachrote Spionin

Titel: Die scharlachrote Spionin
Autoren: Andrea Pickens
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Direktorin der Akademie, erhob sich. »Nun, ich habe für morgen eine Doppelstunde angesetzt. Es ist erheblich wichtiger, ein Dokument oder einen Brief aus der Westentasche eines Gentlemans zu fischen, ohne dass irgendjemand etwas bemerkt.« Gekleidet in taubengraue Seide, die zu ihren silbrigen Locken passte, sah sie so zerbrechlich aus wie eine Feder. Aber hinter ihrem Lorgnon glitzerten ihre Augen immer noch mit falkenhafter Aufmerksamkeit, als sie den Blick durch den Ballsaal der Akademie schweifen ließ.
    Sofia schaute sich ebenfalls um. Vom polierten Tanzparkett bis zur verzierten Decke war jedes Detail wie das Duplikat eines prächtigen Herrenhauses in Mayfair gearbeitet. Die Direktorin war der festen Überzeugung, dass die Schülerinnen ihre Fähigkeiten unter solchen Bedingungen erwerben sollten, wie sie sie im echten Leben vorfinden würden. Dem Auge einer Lady würde es nicht entgehen, wenn die Blüte einer Rose oder die Falten eines Samtvorhangs sich nicht am rechten Platz befänden.
    Sichtlich zufrieden wandte Mrs. Merlin den Blick von den dekorativen Vasen am Eingang ab. »Scheint so, als würden Sie gute Fortschritte machen, Sofia! Sie dürfen sich eine kurze Pause gönnen, bevor die nächste Stunde beginnt.«
    Gute Fortschritte. Aber auch gut genug? Sofia unterdrückte einen Seufzer.
    »Ich habe veranlasst, dass Erfrischungen serviert werden. Probieren Sie den Champagner! Sie sollten sich mit seinem Geschmack vertraut machen und mit seiner Wirkung. Er steigt Ihnen zu Kopfe.« Die Direktorin entfernte sich, um sich mit dem Tanzmeister zu beraten, als der Diener sich mit dem Tablett voller Getränke näherte.
    »Ich muss ehrlich gestehen, dass es mir schwerfällt zu entscheiden, welchen Unternehmungen ich außerhalb des Unterrichts am liebsten nachgehe - dem Tanz oder der Kunst.« Giovanni Marco Mustos, der ›Marco‹ all seinen übrigen Namen vorzog, offizielle Pflichten an der Akademie bestanden darin, dem Reit- und Fechtlehrer zu assistieren. Er wurde jedoch ebenso oft gebeten, der fortgeschrittenen Kunstklasse Modell zu stehen; eine Aufgabe, die er mit schamlosem Vergnügen erfüllte, denn schließlich wurde verlangt, dass er nackt posierte. Mit seinen dunklen Augen, dem sinnlichen Mund und den schwarzen Locken, die sich wie zur Zeit der Renaissance um seinen Kragen kringelten, war er der Inbegriff männlicher Schönheit.
    Und war sich darüber nur zu sehr im Klaren.
    »Ich würde meine Fähigkeiten viel lieber am Säbel erproben«, murmelte Sofia.
    »Sí?« Marco neigte den Kopf. »Du hast doch ein ausgesprochen talentiertes Händchen für raffiniertere Übergriffe.«
    »Die habe ich mehr als genug geübt.« Sofia zwang sich zu einem ironischen Lächeln, obwohl sie sich nicht oft um die Erinnerung an ihr früheres Leben bemühte. »Diebstahl gehört zu den grundlegenden Fähigkeiten, die man beherrschen muss, wenn man auf der Straße überleben will. Wer nicht gut stehlen kann, hält nicht lange durch.«
    Trotz seines Hangs zur Prahlerei und seiner schlüpfrigen Scherze war Marco aufmerksam genug, um die Anspannung in ihrer Stimme wahrzunehmen. »Es ist nichts Beschämendes daran, am Leben zu bleiben, bella«, erwiderte er sanft, »und Signorina Merlin ist offenbar der Meinung, dass diese frühen Lektionen gut genutzt werden könnten.«
    »Ich würde viel lieber an meiner kriegerischen Ausbildung arbeiten.«
    »Nur Arbeit, niemals Vergnügen, das ist eine trostlose Existenz, bella.« Im Bruchteil einer Sekunde war seine Prahlerei zurückgekehrt. Marco drückte ihr ein Glas Champagner in die Hand und zog sie in die ferne Ecke des Ballsaales. »Lass uns anstoßen und trinken. Schließlich gehört es zu deiner Ausbildung, dass du lernst, wie man in feiner Gesellschaft einen guten Wein genießt.«
    »Ich frage mich immer wieder, warum all das zum notwendigen Teil des Unterrichts gehört. Merlins werden im Kampf gebraucht.« Sofia wartete, bis sie hinter einem marmornen Pfeiler verborgen war, bevor sie eine Grimasse zog. »Es ist viel wichtiger, Klingen und Kugeln zu beherrschen.«
    »Aber Schönheit kann auch zur tödlichen Waffe werden.« Grinsend hob der Italiener das Kristallglas an die Lippen. »In der Tat, die Wirkung der Schönheit auf Männer kann tödlich sein.«
    »Ich habe nicht vor, jemandem einen tödlichen Stoß ins Herz zu versetzen«, bemerkte Sofia ein wenig schnippisch. Normalerweise war Marcos Spott recht amüsant. Aber in letzter Zeit war ihre Stimmung angeschlagen, obwohl sie nicht
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