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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske
Autoren: Minette Walters
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warum. Mich interessieren nur Anfänge, denn zu Anfang gibt es so viel Hoffnung. Das Ende hat nichts, außer dass es zeigt, wie fehl am Platz diese Hoffnung war. »In toter Stille tiefer Mitternacht ... Wie ekel, schal und flach und unersprießlich scheint mir das ganze Treiben dieser Welt.«
    Wer dann? James? Oder werde ich langsam senil und leide an Wahnvorstellungen? Gestern fand ich Howards Angebot offen auf meinem Schreibtisch, dabei h ätte ich schwören können, es wieder in die Akte gesteckt zu haben. »O Urteil, du entflohst ...«
    Die Tabletten beunruhigen mich mehr. Dass genau zehn fehlen, so eine runde Zahl. Ich fürchte, Joanna ist zu ihren schrecklichen Gewohnheiten zurückgekehrt; schlimmer noch, ich frage mich, ob Ruth ihr nachschlägt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm ...

1
    Dr. Sarah Blakeney stand neben der Badewanne und fragte sich, wie ein Mensch den Tod als Sieg bezeichnen konnte. Hier war kein Triumph, nicht der Hauch einer Ahnung, dass Mathilda sich ihrer irdischen Hülle entledigt hatte, um etwas Besseres zu gewinnen, nicht der kleinste Fingerzeig, dass sie ihren Frieden gefunden hatte. Bei den Toten bestand, anders als bei den Lebenden, keine Hoffnung auf Wieder erwachen. »Wollen Sie meine ehrliche Meinung hören?« sagte sie langsam, in Antwort auf die Frage des Polizeibeamten. »Mathilda Gillespie ist die letzte, der ich einen Selbstmord zugetraut hätte.«
    Sie starrten zu der grotesken Gestalt hinunter, die steif und kalt im brackigen Wasser lag. Brennnesseln und sp ätblühende Maßliebchen sprossen aus dem grauenvollen Gestell, das das blutleere Gesicht einschloss und dessen verrostete Gebissstange die tote Zunge im klaffenden Mund festklemmte. Ein paar Blütenblätter lagen, welk und eingerollt, auf den knochigen Schultern und den Rändern der Wanne, und ein brauner Bodensatz unter der Wasseroberfläche ließ vermuten, dass dort unten noch mehr Blätter sich gesammelt hatten, die sich voll Wasser gesogen hatten und gesunken waren. Auf dem Boden lag ein blutiges Stanley-Messer, anscheinend den leblosen Fingern entglitten, die schlaff über ihm hingen. Die Szene erinnerte an Marat in seinem Bad, aber sie war ungleich hässlicher und ungleich trauriger. Arme Mathilda, dachte Sarah, wie ihr das zuwider gewesen wäre.
    Der Sergeant wies auf den gemarterten grauen Kopf. »Was um Himmels willen ist denn das?« Seine Stimme war rau vor Widerwillen.
    Sarah wartete einen Moment, bis sie sicher war, ihre Stimme unter Kontrolle zu haben. »Das ist ein altes primitives Unterdrückungsinstrument«, sagte sie. »Man nennt es eine Schandmaske.
    Im Mittelalter hat man damit z änkischen Frauen die Zunge in Zaum gelegt. Es befindet sich seit Jahren im Besitz von Mathildas Familie. Ich weiß, so sieht es grauenhaft aus, aber sie hatte es immer unten im Vestibül über einem Geranientopf. Als Dekoration war es sehr wirkungsvoll.« Sie drückte erschüttert eine Hand auf ihren Mund, und der Polizeibeamte tätschelte ihr unbeholfen die Schultern.
    »Es waren weiße Geranien. Die Blüten schauten zwischen den Eisenstäben des Gestells hervor. Sie hat es immer ihr Laubgewinde genannt.« Sie räusperte sich. »Sie war eine feinsinnige Frau, müssen Sie wissen. Sehr stolz, sehr hochmütig, sehr intolerant und gewiss nicht umgänglich, aber für jemanden, der nie etwas anderes gelernt hatte, als Hausfrau zu sein, war sie brillant, und sie besa ß einen köstlichen Humor. Trocken und beißend.«
    »Laubgewinde«, wiederholte der Pathologe sinnend. »Wie in:
    Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
    und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
    Mit welchem sie phantastisch Kr änze wand
    Von Hahnenfu ß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
    Dort als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
    An den gesenkten Ästen aufzuhängen ...
    Hamlet «, erklärte er dem Polizeibeamten entschuldigend. »Ophelias Tod. Ich musste das für die O-Levels lernen. Erstaunlich, woran man sich alles wieder erinnert, wenn man älter wird.« Er starrte auf die Badewanne. »Kannte Mrs. Gillespie Hamlet?«
    Sarah nickte bedr ückt. »Sie hat mir einmal erzählt, dass ihre ganze Bildung darauf basierte, Passagen aus Shakespeare auswendig zu lernen.«
    »Nun, wir werden nicht viel Neues daraus lernen, dass wir hier rumstehen und die arme Person anstarren«, sagte der Polizeibeamte abrupt. »Es sei denn, Ophelia ist ermordet worden.«
    Dr. Cameron sch üttelte den Kopf. »Tod durch Ertrinken«,
    sagte er nachdenklich, »in einem Moment
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