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Die Scanner

Die Scanner

Titel: Die Scanner
Autoren: Robert Sonntag
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Päckchen Hunderter heraus. Zwanzig Stück. Das überforderte jeden. So viel Bargeld war nirgends mehr zu sehen. Schließlich gab es den mobilen Zahlungsempfänger und den Fingerabdruck.
    2000 in bar gab es nur bei uns. Und wir legten noch einen drauf. »Das ist für das bisschen Papier. Für jedes weitere gedruckte Bündel erhalten Sie von uns 2500. Für jeden Namen eines Lesers, den Sie kennen und uns nennen, 1000.«
    Als ob das nicht ausgereicht hätte, fügten wir dramatisch hinzu: »Das ist unser letztes Angebot. Und es gilt exakt die nächsten zwei Minuten.«
    Genau in diesem Augenblick zogen wir eine Stoppuhr aus der Hosentasche. Sie war an einem dünnen Plastikband befestigt, projizierte rot blinkende Zahlen in den Raum. Mzzzp , und die Zeit lief rückwärts. Zwei Minuten, eine Minute und 59 Sekunden, eine Minute und 58 Sekunden, eine Minute und …
    Fast alle Leser waren in den ersten 15 Sekunden zum Verkauf bereit. Dickschädel brauchten über eine Minute. Einer brach vor uns in Tränen aus. Das war vielleicht vor einem halben Jahr. Das Angebot machte ihn fertig. Manche Leser wollten so ein Buch nie verkaufen. Bis wir mit 20 Geldscheinen alle Prinzipien wegwischten. Wir bekamen alle. Fast alle.
    Einen von zehn, den konnten wir mit Geld nicht locken. Der hatte entweder schon genug davon, oder er war ein Fanatiker. Ein Büchernarr. Im schlimmsten Fall sogar ein Bibliophiler. Gerade so einen wollte die Scan AG am liebsten knacken. In den Schulungen bei Ultranetz brachten sie uns in griffigen Formeln bei: Vielleser gleich Fanatiker, Fanatiker gleich Sammler, Sammler gleich viele Bücher, viele Bücher gleich viel Geld für Buchagenten. Und Buchagenten wie Jojo und ich hörten so etwas sehr gerne.
    Seminare hin oder her, es blieb dabei: Einen von zehn bekamen wir nicht. Also ließ sich Ultranetz ein anderes Vorgehen einfallen. Bei hartnäckigen Lesern sollten wir möglichst viel Persönliches in Erfahrung bringen. Woher sie kommen. Wohin sie fahren. Am besten natürlich, wie sie heißen und wo sie wohnen.
    Wir reichten diese Daten umgehend an Nomos weiter. Der nannte uns daraufhin unfähige HUKAFEHLI (Humankapital-Fehlinvestitionen), weil wir den Leser nicht vom Verkauf überzeugen konnten. Nachdem er sich wieder beruhigte, überwies er uns eine kleine Prämie. Je nachdem, ob die Daten hilfreich waren. So lief es immer ab. Für uns HUKAFEHLI.
    Keine Ahnung, was weiter mit den Leserdaten geschah. Es interessierte uns nicht. Die Stimmung bei Jojo und mir war nicht besonders. Gerade in den letzten Monaten. Wir fanden schlichtweg keine Leser mehr.
    Wir rasten in den Gleitern von Stadtrand zu Stadtrand. Stundenlang. Ich verbrachte davon die Hälfte der Zeit auf der Toilette. Wir spazierten durch die Parkanlagen der A-Zone. Schauten uns in den Aroma-Cafés um. Klingelten an Haustüren. Durchsuchten die Wartehallen der Ärzte und Behörden. Klapperten die Adressen ab, die uns andere Leser genannt hatten. Nichts. Tage vergingen ohne einen einzigen Leser.
    Der alte Mann im Metro-Gleiter neben mir war daher mehr als wichtig für uns. Und für unsere Quote. Ich brachte kein Wort heraus. Irgendwas an diesem Leser war anders. Damit meine ich nicht sein unglatziges Äußeres. Nach Jojos Angebot, dem lächerlichen Zehner, verzog der Alte nicht einmal die Mundwinkel. Er las weiter. Er beachtete uns nicht. Jojo setzte das Programm wie immer fort.
    Er breitete die Geldscheine auf dem Tisch zwischen sich und dem Alten aus. Keine Reaktion. Das überraschte mich nun wirklich. Egal wie stur die Leser waren, auf das viele Geld glotzten sie alle. Jojo wollte die eingeübten Sätze abspulen. Er musste aber davon abweichen, weil der Alte nicht für eine Millisekunde auf den Tisch sah.
    »Auf dem Tisch ZWISCHEN UNS liegen ZWEITAUSEND in bar.« Dann wieder Standardtext. »Das ist für das bisschen Papier. Für jedes weitere Bündel …«
    »… erhalte ich von euch 2500. Für jeden Namen eines Lesers, den ich kenne und euch nenne, 1000«, leierte der Alte gelangweilt runter.
    Jojo schaute zu mir. Ich zog die Schultern nach oben. Der Grauhaarige klappte sein Buch zu, legte es auf die Geldscheine.
    Er blickte mir in die Augen und sprach zu mir. So als ob Jojo nicht im Abteil säße. »Ich schenke es dir. Bevor du es aber scannst und für immer vernichtest, musst du es lesen. Kannst du mir das versprechen?«
    Ich blieb sprachlos. Uns hatte noch nie ein Leser sein Buch einfach so überlassen wollen. Und keiner hatte mich bisher zur
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