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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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stimmte.
    Dieses Detail haben wir Katja natürlich nicht erzählt. Ansonsten ist sie nun umfassend über unsere Beziehung informiert. Nur eine Sache war ihr nicht so ganz klar. Als Herr Müller zwischendurch mal austreten musste und wir beide allein im Raum waren, rückte sie mir aufdringlich nah auf die Pelle und flüsterte mir im Verschwörerton zu: »Paul, ich habe eine Frage. Das mag jetzt komisch klingen, aber: Wie heißt Herr Müller mit Vornamen? Er mag es mir nicht sagen.«
    Ich wollte einen Witz machen und flüsterte zurück: »Wenn ich dir das sage, muss ich dich töten.«
    Auf ihre verschreckte Reaktion hin gab ich zu, dass ich nur hatte lustig sein wollen und rückte mit der Wahrheit heraus:
    »Ich habe ihn ein Jahr gekannt, bevor er mir seinen Vornamen verraten hat. Es wird eine Zeit kommen, da erfährst du …«, ich hörte Schritte im Flur, endete mit »… wie man unsere Waschmaschine bedient« und zwinkerte Katja zu. Sie verstand.
    »Willkommen zurück, mein Bär«, sagte sie, als Herr Müller hereinkam.
    Ich kann Tierkosenamen an sich nicht ausstehen, aber verglichen mit Herrn Müllers Vornamen ist jedes Tier die bessere Wahl. Der Quastenflosser vielleicht ausgenommen.
    Montag, 14.30
    Mir geht es gar nicht gut. Ich musste mich krankmelden. Annette hat es ganz locker aufgefasst.
    »Dann ist eben Selbstbedienung an der Wursttheke«, hat sie gesagt.
    Ich habe ihr versprochen, morgen auf jeden Fall wieder zu kommen. Das werde ich auch, ich war seit vier Jahren nicht mehr krank, ohne mich läuft das doch alles nicht.
    Eine Stunde nach Öffnung hat Annette dann zurückgerufen. Frau Rottenbauer lasse grüßen und mitteilen, gegen einen verstimmten Magen helfe eine ordentliche Brotsuppe. Ich solle das so machen: Brot mit Butter beschmieren, mit Pfeffer und Salz würzen und in kochendem Wasser einweichen lassen. Das habe ihr auch im Krieg nicht geschadet, der Frau Rottenbauer. Ich musste dann leider auflegen. Es hat keine Minute gedauert, bis ich das nächste Mal kopfüber auf der Toilette hing.
    So verbunden wie heute habe ich mich der Kloschüssel noch nie gefühlt. Wir haben sehr viel Kontakt. Und das auch noch in verschiedenen Positionen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Katja das nicht beabsichtigt hat. Außerdem ist es eigentlich unmöglich, dass andere Leute, sprich sie und Herr Müller, diesen Gulaschmischmasch ohne Folgen vertragen haben. Ich hatte ja schon am Esstisch so ein Gefühl, das Kalb-vor-Schlachthaus-Gefühl. Und es hat mich nicht getrogen. Katja hatte das Fleisch seit Freitag in Herrn Müllers Auto. Hätte ich das gestern gewusst, ich hätte keinen Bissen gegessen. Das gab einen ordentlichen Anschiss für Katja heute Morgen.
    Herrn Müllers Verteidigungsargument, ich hätte als Kind eben mehr Dreck im Sandkasten essen müssen, um mich abzuhärten, ihm habe das schließlich auch nicht geschadet, fand ich nicht besonders konstruktiv. Katja schien gar nicht zu verstehen, worum es ging und dass sie schuld ist an meinem Zustand. Ich glaube, in ihrem Kopf sitzen ein paar Vögel auf einer Stromleitung, und immer wenn einer von ihnen piept, lacht sie einfach kurz los. Sie lacht öfter ohne Grund. Da kannst du ihr was vom Holocaust erzählen, und sie lacht, weil sie das Wort zum ersten Mal hört.
    Herr Müller ist weggefahren, wer weiß, wohin und wozu, er ist mir nicht berichtspflichtig, wie das bei manchen Ehepaaren ist. Katja trampelt irgendwo im Haus herum, und ich liege halb tot im Bett. Ich deliriere. Keine Ahnung, ob es das Wort gibt, und wenn, ob es vielleicht etwas ganz anderes bedeutet als im Delirium zu sein, aber allein der Umstand, dass ich seit einer Stunde abwechselnd schlafe und über das Wort delirieren nachdenke, sollte Beweis genug dafür sein, dass ich deliriere. Essen konnte ich nichts weiter, obwohl ich schon auch Hunger hatte, aber es wäre alles sofort wieder rausgekommen, da bin ich mir sicher. Und jetzt liege ich eben da, mit leerem und krampfendem Magen und leerem und krampfendem Kopf.
    Das Telefon klingelt. Das ist jetzt keine Einbildung. Sicher ein Notfall im Supermarkt. Als ich mich etwas zu hurtig aufrichte, wird mir augenblicklich schlecht. Ich falle wie ein losgelassener Besen wieder gerade nach hinten und stoße mir glücklicherweise nicht den Kopf an.
    Inzwischen klingelt es schon zum dritten Mal. Ich habe eine Idee. Katja hat mich in diese Lage gebracht, sie muss mir jetzt assistieren.
    »Katjaaaa, Telefoooon!«, bringe ich recht ordentlich heraus, beim
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