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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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wusstest du eigentlich, dass Günther Jauch in Potsdam lebt und extra für die Sendungsaufzeichnungen immer nach Köln fliegt?«
    Katja macht große Augen und sagt: »Wer ist denn Günther Jauch?«
    Herr Müller lacht nervös. Ich brauche etwas frische Luft und gehe spontan nach dem Kalb sehen.
    Sonntag, 18.50
    Katja wohnt seit Freitag bei uns. Ob das nun Herrn Müllers Absicht war oder nicht, er scheint es zu genießen. Außerdem käme sie schlecht fort, auch wenn sie es wollte, sie ist ja mit ihm im Auto gekommen. Die beiden waren seit Freitagabend durchgehend in seinem Schlafzimmer beschäftigt oder haben im Bademantel auf der Terrasse herumgesessen; es sommert schon etwas, obwohl der Frühling erst beginnt. Ich konnte Katja gar nicht richtig kennenlernen, weil sie so zusammengeklebt sind. Nicht dass ich viel Wert darauf gelegt hätte. Vielleicht ändert sich das jetzt, sie hat sich vorgenommen, für uns zu kochen, Szegediner Gulasch. Ein beeindruckender Name für ein Gericht. Ich werde allerdings nicht einschätzen können, ob sie es gut macht oder richtig. Ich habe das noch nie gegessen.
    Bei uns zu Hause gab es früher immer Lauch, aber nur an Montagen. Gebackener Lauch, überbackener Lauch, lauwarmer Lauch, Lauchsuppe, jeden Montag eine andere spannende Variation, meine Mutter war da sehr kreativ. Sie wollte uns zu resoluten Vegetariern erziehen. Dienstags gab es Variationen mit Kartoffeln, mittwochs mit Nudeln, donnerstags mit Kohl und so weiter. Montag war Lauchtag. Heute ist Montag für mich Jauchtag. Über diesen Vergleich habe ich schon öfter nachgedacht. Aber erzählt habe ich es noch niemandem.
    Katja kocht in einem Topf eine große Menge Fleischbrocken, in einem anderen Kartoffeln, in einem dritten Sauerkraut und würfelt nebenan auf dem Schneidebrett Zwiebeln und irgendwelches Grünzeug. Herr Müller steht neben ihr und wirkt überflüssig. Ich bin definitiv überflüssig und sehe den beiden, am Küchentisch sitzend, zu. Herrn Müller ist sein Unbehagen darüber anzumerken, dass er keine Aufgabe hat. Er öffnet einen Küchenschrank und begutachtet den Inhalt lange und gewissenhaft, wird dann anscheinend fündig, nimmt etwas heraus und kommt zu mir an den Tisch.
    »Ein gutes Restaurant erkennt man daran, dass Zahnstocher auf dem Tisch stehen«, sagt er und stellt die Zahnstocher auf den Tisch. Er setzt sich, und wir schweigen uns an. Was soll man auch reden? Ich weiß, was Katja und er die letzten beiden Tage getan haben, und Herr Müller kann sich vorstellen, was ich getan habe: Serien und Filme im Internet angeschaut oder sagen wir lieber, Serien und »Filme«. Das Wochenendleben eben. Katja dreht sich zu uns um, verkündet mit ihrer Navi-Stimme »In zwanzig Minuten haben Sie das Essen vor sich« und kichert. Herr Müller lacht gequält.
    Da drängt sich mir eine Frage auf, die ich unüberlegt in den Raum stelle: »Wie habt ihr beiden euch eigentlich kennengelernt?«
    »Na, beim Tanzen!«, sagt Katja sofort und wendet sich wieder ihren Töpfen zu.
    »Du tanzt?«, frage ich Herrn Müller ungläubig.
    »Ich bin DJ«, sagt er.
    »Seit wann das denn?«
    »Paar Wochen.«
    »Und wo?«
    »Im Hexenbesen. Ich lege jeden Donnerstag auf. Ich bin sozusagen Resident-DJ.«
    Er faltet die Hände auf der Brust und wirkt zufrieden wie ein Buddha. Sicherlich hat er das gerade zum ersten Mal ausgesprochen. Resident-DJ im Hexenbesen, ob man sich darauf was einbilden sollte? Der Hexenbesen ist eigentlich gar kein Club, sondern eine Raucherkneipe am Allgemeinplatz, nicht weit von meinem Supermarkt. Man geht dort eher zum Kickern hin oder um sich abzufüllen.
    »Auf die Musik habe ich im Hexenbesen noch nie geachtet«, sage ich.
    »Deshalb bin ich jetzt da. Ich heiz dort richtig ein«, sagt er.
    »Und er hat alle Lieder gespielt, die ich mir gewünscht habe«, kommentiert Katja vom Herd.
    Damit wäre also die Frage nach dem Kennenlernen im Speziellen beantwortet, außerdem die etwas abstraktere Frage, was man heutzutage tun muss, um fünfzehn Jahre jüngere Frauen abzuschleppen: das Gleiche wie eh und je. Sich wichtig machen.
    Ob es vorher vielleicht schon eine Kontaktaufnahme zwischen den beiden auf einem Dating-Portal gab, bei der von Soft- SM die Rede war, würde mich allerdings schon interessieren. Niemand geht einfach so zum Tanzen in den Hexenbesen.
    »Greifen Sie jetzt zu«, sagt Katja, als sie die Töpfe samt Schöpfkellen vor uns platziert. Sie setzt sich, wartet ganze zwei Sekunden und klatscht dann in die
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