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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Autoren: Christian Ritter
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schlecht gebildet. Wenn einer von uns endlich mal ausgewählt würde, würde er mindestens 64 000 Euro mitnehmen, das könnte man dann schon fest verplanen. Wir bewerben uns, seit es die Sendung gibt, irgendwann muss es einfach funktionieren. Ich glaube fest daran. Von selbst dreht sich mein Leben nicht großartig weiter, da braucht es ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Das Studio ist übrigens viel kleiner, als es im Fernsehen aussieht, und Günther Jauch ist sehr dünn. Mager geradezu. Er wiegt 74 Kilo, das weiß man, seit er sich mal in der Sendung auf die Waage gestellt hat, das war 2012. Die BILD hat am nächsten Tag behauptet, er sei untergewichtig, unter einem gesunden BMI , aber das hat nicht gestimmt. Es stimmt sowieso nicht viel davon, was in der BILD steht, das sagt Frau Rottenbauer jedem, dem sie sie in die Hand gibt: »Mit Vorsicht zu genießen!«
    Günther Jauch ist heute besonders zu Scherzen aufgelegt. Er möchte seine Krawatte mit dem Kandidaten tauschen, weil er sonst so selten ein Gegenüber hat, das Krawatte trägt. Sie vereinbaren, dass der Tausch bei 16 000 vollzogen wird, der magischen Grenze. Nach der 16 000-Euro-Frage wird es immer heikel, da purzeln die Joker.
    Die Sendung läuft jetzt schon zehn Minuten, und Herr Müller ist noch immer nicht da. Das hat es noch nie gegeben. Wenn ihm nun wirklich etwas zugestoßen ist? Im Fitness First Forever oder auf dem Nachhauseweg? Was soll ich denn allein hier auf dem Hof machen? Vor allem werde ich vielleicht gar nicht dableiben dürfen, der Hof gehört Herrn Müller, ich bin nur sein Untermieter. Quasi. Also ich zahle keine Miete, wir teilen uns nur die Nebenkosten und alles, was man so zur Instandhaltung braucht, Herr Müller hat den Hof ja geerbt damals. Sozusagen. Er wurde ein- und seine Großeltern ausquartiert, lange Geschichte. Ich weiß nicht, ob es so etwas wie ein Gewohnheitsrecht gibt, und vor allem weiß ich nicht, ob Herr Müller sein Testament schon gemacht hat, und wenn, ob ich darin eine tragende Rolle spiele. Allein fände ich es dann schon etwas einsam hier. Dann müsste ich vielleicht zu »Bauer sucht Frau«, um mir eine neue Mitbewohnerin zu suchen. Der Hof ist zwar ziemlich außer Betrieb, es gibt nur noch die Hühner und die drei Kühe, plus Kalb, aber das bleibt nicht lange. Würde wohl trotzdem reichen, um als Bauer durchzugehen. In der Sendung sind ja auch nicht alle Bauern echte Bauern. Ich möchte jetzt nicht das Schlimmste heraufbeschwören, aber wenn Herr Müller nicht wiederkäme … Eine gute Partie bin ich eigentlich schon. Telegen sowieso. Noch ein bisschen Sport, und ich bin wieder ein Traummann. Aber nicht im Fitnessstudio, der Sport. Fahrradfahren zur Arbeit würde reichen, fehlt aktuell nur ein Fahrrad.
    In der aktiven Partnersuche ist mir Herr Müller um Längen voraus. Es beschränkt sich zwar meistens auf die Suche im Internet und einige erste Dates, aus denen nie was wird, aber immerhin macht er wenigstens das. Ich bin nach der Arbeit immer ziemlich platt und möchte dann auch nicht unnötig Energie mit Verabredungen und so verschwenden. Meine Zeit wird kommen, die Richtige sicherlich auch, ich mache mir da keine großen Sorgen. Spätestens wenn ich bei Jauch war und mein Geld abgeholt habe, werden die Angebote reinschwemmen. Und die Bittbriefe. Alles hat zwei Seiten.
    Jetzt steht schon gleich die erste Werbepause an, das heißt, die Sendung ist zur Hälfte vorbei. Vera am Mittag erzählt wieder ganz privat über ihren aufgeblähten Bauch, und ich wähle Herrn Müllers Nummer. Unsere Nummern stehen auf einem Zettel beim Telefontischchen, dazu die vom Tierarzt und der örtlichen Polizei, also »örtlich« in dem Sinne, dass sie in einer halben Stunde hier wären, wenn denn mal was wäre. Aber was soll schon passieren? Unsere Hühner werden sie nicht stehlen, die Diebe. Bei Herrn Müller geht direkt die Mailbox ran, das heißt, er hat keinen Empfang. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass er sein Telefon ausgeschaltet hat, was er niemals tut, wenn er unterwegs ist, oder dass er auf dem Heimweg und schon in der netzlosen Zone ist. Ich bin fürs Erste beruhigt und sehe nach, ob wir noch Chips haben. Haben wir.
    Obwohl ich mir einrede, dass alles gut ausgehen wird, ist die Tüte zehn Minuten nach Werbungspausenende schon zur Hälfte leer. Ich stopfe die Chips in mich rein, um mich von bösen Gedanken abzulenken. Nicht mal die Krawattentauschaktion konnte mich aufheitern oder mir Ablenkung verschaffen. Ich hoffe
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