Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Galgens, zu strampeln und zu schreien begonnen hatte. Die Schergen schleiften ihn vorwärts wie ein Schwein, das ins Schlachthaus gezerrt wird. Aliena empfand kein Mitleid in ihrem Herzen; das Einzige, was sie verspürte, war ein Gefühl der Erleichterung. Von heute an brauchte sich niemand mehr vor William zu fürchten.
    Er trat mit den Füßen nach allen Seiten aus und kreischte wie am Spieß, als man ihn auf den Ochsenkarren hob. Rotgesichtig, wild und schmutzig sah er aus, wie ein garstiges Tier, doch die Töne, die er von sich gab, erinnerten eher an die eines Kindes: Er plapperte, jammerte und heulte. Vier Männer mussten ihn festhalten, damit ihm ein fünfter die Schlinge um den Hals legen konnte. Mit seinen heftigen Bewegungen bewirkte er lediglich, dass der Knoten sich vorzeitig zuzog; er beraubte sich dadurch selbst der Atemluft, noch ehe man ihn hängen ließ. Die Schergen traten zurück. William wand sich und rang nach Luft. Sein feistes Gesicht verfärbte sich purpurn.
    Entsetzt starrte Aliena ihn an. Selbst in ihrem tiefsten Hass und Zorn hätte sie ihm ein solches Ende nicht gewünscht.
    Geräuschlos begann William zu ersticken, geräuschlos gaffte die Menge. Selbst den Gassenjungen hatte der grausige Anblick die Sprache verschlagen.
    Dann versetzte jemand dem Ochsen einen Gertenhieb auf die Flanke, das Tier trottete vorwärts, und William stürzte ins Bodenlose. Doch sein Hals brach nicht. Er baumelte am Strick und starb einen langsamen, qualvollen Erstickungstod. Seine Augen blieben offen, und Aliena hatte auf einmal das Gefühl, er starre sie an. Sein fratzenhaftes Grinsen kam ihr bekannt vor, und rasch fiel ihr ein, warum: So, genau so, hatte er sie angesehen, als er sie damals vergewaltigte, kurz vor dem Höhepunkt seiner Lust … Die Erinnerung durchfuhr sie wie ein Messerstich, doch gestattete sie es sich nicht, den Blick abzuwenden.
    Es dauerte lange, sehr lange, doch die Menge blieb stumm und rührte sich nicht. Williams Gesicht verfärbte sich immer dunkler, sein schmerzvolles Aufbäumen verkümmerte zu bloßen Zuckungen. Dann, endlich, verdrehte er die Augen, die Lider schlossen sich, die Zuckungen blieben aus – und plötzlich schob sich, ein grässlicher Anblick, schwarz und verschwollen die Zunge zwischen den Zähnen hervor.
    Er war tot.
    Aliena fühlte sich vollkommen ausgelaugt. William hatte einst ihr Leben verändert – es ruiniert, wie sie früher gesagt hätte –, und jetzt war er tot und nicht mehr imstande, ihr oder einem anderen Menschen wehzutun.
    Die Menge zerstreute sich. Die Gassenjungen ahmten Williams letzte Zuckungen nach, verdrehten die Augen, streckten ihre Zunge heraus. Ein Scherge kletterte auf das Schafott und schnitt die Leiche herunter.
    Aliena sah ihren Sohn, und er erwiderte ihren Blick. Ihre Anwesenheit schien ihn zu überraschen. Er kam sofort zu ihr und beugte sich zu ihr nieder, um sie zu küssen. Mein Sohn, dachte sie, mein großer Sohn. Jacks Sohn. Wie sehr ich mich damals fürchtete, Williams Kind in mir zu tragen … Und so hat sich doch so manches zum Guten gewendet.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du dir das antun würdest«, sagte Tommy.
    »Ich konnte nicht anders«, erwiderte sie. »Ich musste ihn tot sehen.«
    Er sah sie bestürzt an. Er versteht mich nicht, dachte sie. Ein Glück, dass er’s nicht tut. Hoffentlich wird er solche Dinge nie verstehen müssen.
    Er legte seinen Arm um sie. Gemeinsam verließen sie den Platz.
    Aliena blickte sich nicht mehr um.
    An einem heißen Hochsommertag saßen Jack, Aliena und Sally oben auf der Empore des Querschiffs beim Essen. Sie hockten auf dem zerkratzten Gips seines Zeichenbodens und genossen die Kühle, die in der Kirche herrschte. Wie das Geplätscher eines fernen Wasserfalls drang das Gemurmel der Mönche an ihre Ohren, die unten im Chor die Sexte zelebrierten. Es gab kalte Lammkoteletts mit frischem Weißbrot und einen Steinkrug voll mit goldenem Bier. Jack hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, den neuen Chor zu entwerfen, mit dessen Bau er im kommenden Jahr beginnen wollte. Sally biss mit ihren hübschen weißen Zähnen herzhaft in ein Stück Fleisch und betrachtete dabei den Plan. Ich kann mich auf einen kritischen Kommentar gefasst machen, dachte Jack, ich kenne meine Tochter … Er sah Aliena an. Auch sie hatte Sallys Miene studiert und wusste, was zu erwarten war. Sie wechselten wissende Elternblicke und lächelten.
    »Warum soll die Apsis abgerundet sein?«, wollte Sally
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher