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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat
Autoren: Fran Ray
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unterhalten und dann … dann hast du sie mit einem Schlag … gekillt!« Leon lacht. »Ich hab gezählt. Ganze sechs Sekunden waren sie erledigt, bevor sie wie die Verrückten geklatscht haben.«
    Ja, er hat es genossen, und gleichzeitig hat es ihn geängstigt. Die Stille verwandelte sich in einen Abgrund, der mit jeder Sekunde tiefer und dunkler wurde, bis ihn endlich der Applaus rettete.
    Seit neun Jahren sind sie ein Team, Leon mit polierter Glatze und immer in schwarzem Rollkragenpulli – Ethan überlegt, was Leon im Sommer trägt – und er, Ethan, mit immer noch dichtem blondem Haar – trotz seiner zweiundvierzig –, das er gern etwas länger wachsen lässt, auch wenn es gerade nicht Mode ist. Markenzeichen und zugleich Erinnerung an seine Jugend in Sydney, als er die Farm seiner Eltern verlassen hat, um etwas anderes kennenzulernen als den Busch, Rodeos und die Ängste vor Dürre und wieder gefallenen Schafpreisen. Seine sorglosesten Jahre, so nennt er sie, als er mit seinen Kumpels im V W-Bus an der Küste entlangfuhr, zum nächsten Strand, zur nächsten Brandung, um über die Wellen zu fliegen, sich frei zu fühlen von jeglicher Verantwortung. Zwei ewige und doch viel zu kurze Jahre lang.
    Leon winkt den indischen Kellner heran. »Bringen Sieuns das da, was sie gerade an den Nebentisch getragen haben.«
    Der Kellner nickt, und Leon grinst Ethan an. »Man muss doch mal was Neues ausprobieren, was?«
    Das Abendessen in der Bombay Brasserie zum Abschluss der Buchmesse ist im Lauf der Jahre zu einem gemeinsamen Ritual geworden.
    »Pass auf, Ethan«, sagt Leon mit vollem Mund, »wir sollten gleich nach der Frankfurter Buchmesse deine Lesereise ansetzen. Hamburg, Berlin, Leipzig, Köln, München und auf jeden Fall noch Wien und Bern. Sylvie wird dich mal zwei Wochen entbehren müssen.«
    Sylvie. Ethan tastet nach dem Handy in seiner Jacketttasche, drückt auf die grüne Wahltaste. Er wollte ihr schon vor der Lesung sagen, dass der Saal voll ist und der Verlag happy.
    Wieder schaltet sich die Mobilbox ein. Hat sie nicht heute Notdienst? Er hat es vergessen. In letzter Zeit hat er viel vergessen, was sie angeht, war zu sehr mit sich und seiner Arbeit beschäftigt. Sie sollten endlich mal wieder einen langen Urlaub machen. Amerika vielleicht? San Francisco, da wolltest du doch längst schon mal hin, Sylvie.
    »Ethan?« Leons Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. »Alles klar?«
    »Ja, natürlich.« Er ist plötzlich unendlich müde. Als hätte eine jahrelange Anspannung endlich nachgelassen.
4 Sonntag, 23. März
Paris
    Irgendwann wagt Nicolas, sein Handgelenk zu drehen, sodass er auf seine Uhr mit den Leuchtziffern sehen kann. Halb zwei. Seit fast zwei Stunden hockt er schon so da. Er hält es nicht mehr aus. Seine Beine kribbeln, sie sind längst eingeschlafen, er würde sich nicht wundern, wenn sie sogar abgestorbenwären. Jean-Marie hat nicht angerufen. Unter anderen Umständen wäre er stinksauer deswegen. Er lauscht. Nichts, gar nichts. Langsam schiebt er den Stuhl weg und kriecht unter dem Tisch hervor. Mühsam richtet er sich auf. Noch immer kommt kein Laut von nebenan. Allmählich kommt wieder Gefühl in seine Beine, und er schleicht zur Tür, legt das Ohr an die weiße Lackschicht. Nichts. Absolute Stille. Er schluckt, Bilder durchfluten sein Hirn, zerbrochene Reagenzgläser, umgestürzte Regale, und Professor Frost? Das Blut fällt ihm wieder ein. Vielleicht hat er es sich ja auch nur eingebildet, vielleicht war es doch nur rote Farbe, mit der sie irgendwas an die Wand geschmiert haben. Eine blöde Parole oder so. Wieso hat er eigentlich so eine Angst gehabt? Nicolas hat die Türklinke umfasst. Er zögert, doch er vernimmt keinen Laut mehr. Jetzt. Er drückt die Klinke herunter und zieht die Tür ein Stück auf. Es ist dunkel, das Licht ist ausgeschaltet. Die Rollos sind heruntergelassen, natürlich, das hat er selbst getan, als sie am Abend um sechs anfingen. Durch die Ritzen zwischen den Alulamellen dringt diffuses Licht von draußen. Er lauscht wieder. Und wenn sich jemand hier verbirgt und auf mich wartet? Der wäre schon längst aufgesprungen. Entschlossen tastet Nicolas nach links an die Wand neben der Tür. Er spürt den kalten Kunststoff des Schalters, ein letztes Zögern, dann kippt er ihn nach unten. Flackernd springen die Neonröhren an. Zuerst sieht er die umgestürzten Käfige auf dem Boden, sie sind leer, nirgendwo eine Ratte. Freiheit allen Ratten und Mäusen! Er lacht auf, erschrickt
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