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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat
Autoren: Fran Ray
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Jetzt ein Winseln und Ächzen, Schuhe scharren über den Boden, und endlich – urplötzlich – Stille. Nur das Brummen der Neonröhre über ihm. Nicolas starrt zur Tür. Alles Mögliche schießt ihm durch den Kopf. Junkies, die Drogen in den Labors vermuten, Vandalen, die nur zerstören wollen, Studenten, die durchs Examen gerasselt sind, Tierschützer … Nicolas hält die Luft an, während seine Augen den Raum nach einem Versteck absuchen. Neben sich entdeckt er die Tischplatte und den ausrangierten Bürostuhl, auf der linken Seite der Tür ist das Waschbecken, vor ihm das Regal mit den Medikamenten und den Schubladen mit den Injektionsspritzen und Skalpellen, den Gläsern und Behältern mit Futtermitteln. Und direkt neben ihm die Tür zum Labor. Einen eigenen Ausgang auf den Flur hinaus hat dieser Raum nicht. Er denkt daran, ein Skalpell aus der Schublade zu holen, doch das würde Geräusche machen. Also tastet er zum Schalter neben der Tür und macht das Licht aus. Jetzt ist es dunkel bis auf den hellen Streifen unter der Tür und dem fahlen Licht, das durch ein schmales Fenster ganz oben in der Wand von draußen hereinfällt. Er lauscht. Seltsame Geräusche dringen zu ihm. Ein Bohrer? Dann ein schrill aufheulender Motor, dann kratzt Metall über Holz, dann knirscht es, schließlich ein Schmatzen und Klatschen, als würde jemand mit einem nassen Lappen über den Boden wischen. Er merkt, wie er zittert, wie ihm schwindlig wird vor Angst. Er gibt sich einen Ruck, kriecht unter die Schreibtischplatte und zieht lautlos den Bürostuhl zu sich heran. Er kauert sich zusammen, bis seine Stirn den Fußboden berührt. Rollt sich ein wie ein Igel. So hat er sich als Kind auch immer versteckt. Wenn er keinen sieht, sieht man ihn auch nicht. Was für ein Unsinn! Aber in diesem Moment ist er sein einziger Trost. Dann – ein metallisches Klirren. Ein Messer, das auf den Fliesenboden fällt?
    Jean-Marie wollte heute Nacht kommen! Sein Handy ist in der Innentasche seines Jacketts, und das hängt im Labor imWandschrank. Jean-Marie wird anrufen, dann werden sie wissen, dass sich noch jemand im Labor versteckt. Übelkeit steigt in ihm hoch. Nicht jetzt! Als die Tür aufgestoßen wird, kneift er die Augen zu. Ein Streifen Licht fällt auf den Boden, und jemand tritt in den Raum. Nicolas sieht zwischen den Wimpern den unteren Teil von zwei Beinen, die in einem weißen Schutzanzug stecken, und Schuhe, über die eine Plastikhaube gezogen ist. Das Neonlicht springt an. Nicolas hört auf zu atmen. Über das Weiß der Hosenbeine laufen rote Rinnsale, der Plastiküberzug der Schuhe ist dunkelrot verschmiert. Das ist Blut. Das muss Blut sein. Nicht mehr denken, du bist nicht da, du existierst nicht. Die Streben des Metallfußes drücken in seinen Unterschenkel, Nicolas fängt an zu zittern. Gleich wird ihn der Bürostuhl verraten, das Zittern wird immer heftiger, er kann es nicht kontrollieren, gleich – doch in diesem Moment geht das Licht aus, die Füße machen kehrt, und die Tür fällt ins Schloss.
3  
London
    »Ethan, wir sind auf dem besten Weg! Die Vorbestellungen laufen fantastisch, und dann auch noch die Filmoption! Ethan, diesmal schaffen wir es! He, nimm vom Biryani!«
    Ethan Harris fragt sich, wann er seinen Lektor zum letzten Mal so euphorisch erlebt hat. Noch nicht einmal bei Ethans erstem, gleich von der Kritik gelobten Buch war Leon Woolfe so siegessicher und entspannt gewesen, obwohl sie damals auch eine Flasche Champagner geköpft hatten. »Du warst großartig! Totenstill war es! Nicht ein einziger Huster!«
    »Na ja, ich war ziemlich nervös, und jetzt bin ich erledigt«, sagt Ethan. Früher hat er vor Lesungen Gin Tonic getrunken, um sich aufzuputschen. Früher, als er alles leichter genommen hat, als ihm schon 30 000 verkaufte Exemplare als Erfolggalten, als sei er ihm zugefallen, mühelos. Nicht hart errungen, sich selbst abgetrotzt. Das Schlimmste ist, wenn Zuhörer ihn aggressiv angehen. Provokante Fragen stellen. Er mag es harmonisch, wenn er ausnahmslos alle im Raum – und der im Londoner Southbank Center war weiß Gott groß – in seinen Bann ziehen kann, wenn sie still sind und sich von seinen Worten und mit seiner Stimme in eine andere Welt entführen lassen. Deshalb kommen sie doch, oder? Nicht um ihn anzugreifen, ihn fertigzumachen.
    »Weißt du, was Patty zu mir gesagt hat? Sie hat gesagt: Du hast die ganze Meute im Saal auf dein Boot eingeladen, ihnen ordentlich was geboten, hast sie prächtig
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