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Die Saat der Finsternis (German Edition)

Die Saat der Finsternis (German Edition)

Titel: Die Saat der Finsternis (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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er könnte sich hinlegen und schlafen. All dies war zu viel für ihn, eine zu große Anstrengung. Also schwebte er weiter dahin im dunklen Nichts, wo er nicht von Gedanken, Hoffnungen oder Ängsten gequält wurde.
    Wieder diese Berührung, ein Zupfen an seiner Hand. Da war jemand und wollte etwas von ihm. Lys schloss die Augen und verharrte in den Schatten, die sich über seinen Geist gelegt hatten. Wenn er nicht reagierte, würde man ihn hoffentlich in Ruhe lassen …
    Zwei kleine Hände zerrten nun energisch an seinem rechten Arm. Lys gab nach und ließ den Arm von den Knien fallen, hob aber nicht den Kopf. Es war friedlich hier, im Nirgendwo …
    Ein kleiner Körper drängte sich gegen ihn. Lys blinzelte verwirrt und blickte in ein winziges Mädchengesicht, umrahmt von verfilzten dunklen Locken. Er konnte sich nicht erinnern, dieses Kind jemals zuvor gesehen zu haben, was ihn noch mehr verwirrte. Sie starrte ihn ernst und misstrauisch an, drückte sich dabei gegen seine Beine. Lys kannte diese Aufforderung von Lynn, seinem Sohn, und reagierte im Reflex: Er setzte sich aufrecht und öffnete die Arme. Nur einen Moment später war das kleine Mädchen auf seinen Schoß gekrabbelt und umarmte ihn so fest, als würde sie ertrinken und er wäre ihr einziger Halt.
    „Wie heißt du?“, fragte er das Kind verblüfft. Lange schwieg sie, den Kopf an seine Schulter gepresst, doch irgendwann wandte sie sich ihm zu.
    „Marjis“, hauchte sie und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    „Ich bin Erek“, erwiderte er.
    Sie musterte ihn sehr lange, mit so viel konzentriertem Ernst, dass er sich schließlich zu ihr hinabbeugte und kaum hörbar in ihr Ohr wisperte: „Das ist gelogen, du hast recht. Mein Name ist Lys. Pst, das darf niemand wissen.“
    Marjis nickte und lächelte wieder scheu, was ein wenig von dem stumpfen, viel zu alten Ausdruck in ihren Augen vertrieb. Lys hielt sie an sich gedrückt, er wusste nicht zu sagen, ob er sie vor dem Untergang bewahrte oder sie ihn. Auch, als sie eingeschlafen war, hielt er sie im Arm. Er trieb weiter im schwarzen Nichts, aber er fühlte sich nicht mehr verlassen dort, denn nun hatte er jemanden, der ihn begleitete.
     
    „Sie hat seit dem Tod ihrer Mutter kein Wort mehr gesprochen und niemanden an sich herangelassen“, sagte Irla erschüttert. Mittlerweile hatten sich alle Sklaven wieder abgewandt, aßen, sprachen miteinander, lachten; etwas abseits von den anderen war das unterdrückte Seufzen eines Liebespaares zu hören. Lamár hingegen blickte immer noch wie gebannt auf Erek, den er nur von der Seite sehen konnte, das Gesicht im Schatten verborgen, und auf Marjis Lockenkopf.
    „Wie es scheint, hat sie gespürt, dass er genauso ist wie sie“, murmelte er. „Sie haben beide alles verloren.“
    „Womöglich gibt es doch Hoffnung.“ Irla stand auf und kehrte zurück an ihren Platz am Herdfeuer.
    Das hoffe ich – für ihn, für Marjis und für mich.

3.
     
    Schreie. Blut. Eine nach ihm ausgestreckte Hand. Das Gesicht des Fremden, von unerträglichen Qualen verzerrt.
    Neues Bild. Der Fremde, er duckt sich ängstlich. Taumelt zurück unter dem Schlag, stürzt zu Boden.
    Neues Bild. Zusammengekrümmt liegt Erek in einem Verlies, bewusstlos, gefesselt.
    Neues Bild. Ein Trupp bewaffneter Reiter. Sie nehmen den hochgewachsenen Blonden in ihre Mitte, fesseln ihn, obwohl er kaum auf eigenen Beinen stehen kann. Ein feister Mann gibt ihm, Lamár, einige Münzen und dankt ihm, bevor er mit dem Fremden davon reitet.
     
    Lamár schreckte schweißgebadet hoch. Jemand stieß ihn von der Seite an und murmelte: „Sei ruhig!“
    Unterdrückt stöhnend ließ er sich zurücksinken. Alle schliefen, es waren sicherlich noch einige Stunden bis zur Morgendämmerung – die Feuerstelle in der Mitte der Hütte war zwar abgedeckt, doch sie glomm noch viel zu kräftig, als dass die Nacht weit fortgeschritten sein konnte.
    Er lauschte auf die tiefen Atemzüge der anderen, das leise Schnarchen, das Rascheln, wenn sich jemand bewegte. Nicht zum ersten Mal, seit er in dieser Gemeinschaft aufgenommen worden war, weckten ihn nachts schlimme Träume auf. Für gewöhnlich erinnerte er sich allerdings an nichts, sobald er die Augen öffnete. Nur der dumpfe Schmerz in seinem Kopf zeugte davon, dass er im Schlaf versucht hatte, zurück in seine Vergangenheit zu reisen. Doch diesmal war es anders. Lamár sah die Bilder, die ihn gequält hatten, deutlich vor sich.
    Er setzte sich auf und blickte in die Ecke, in
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