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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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an dem Bach mit seinen mächtigen Weiden, deren Äste bis in die sich kräuselnden Wellen reichen, sind ihm versperrt – als hätte es sie nie gegeben.
    Selbst seine Erinnerungen verändern sich. Sie verlieren ihre Farben und werden zu einem verwaschenen Grau, ohne Konturen oder Inhalt. Seine Erinnerungen waren ihm stets das Wertvollste. Er hat sie besser behütet als sein eigenes Leben. Doch alles, was geblieben ist, sind graue, stumme Bäche. Eine graue Welt, die ihm mit jedem Tag ein kleines Stück fremder wird.
    Das sind die Momente, in denen eine kalte Trauer seine trüben Gedanken noch dunkler erscheinen lässt. Dann kommt David hierher und betrachtet seine Stadt. Er sitzt stets an derselben Stelle, am Ende eines schmalen Anlegestegs, lässt die Beine baumeln und blickt über den Fluss, dessen Namen er vergessen hat und dessen Rauschen nichts mit dem Bach seiner Großeltern gemein hat.
    Dort, auf der anderen Seite, wo die Kaimauer senkrecht in den glitzernden Wellen verschwindet, ragen die Skelette seines früheren Lebens in den Himmel empor. Auf die Entfernung hin wirken sie bedrohlich, wie sie düsteren Schatten gleich in die Wolken greifen. Wenn man aber dort ist und durch die dunklen Schluchten mit ihren kalten Winden und dem immerwährenden Schweigen wandert, verlieren sie schnell ihre Bedrohlichkeit und kommen einem nur noch trübsinnig und nutzlos vor. Der einstige Glanz ist lange schon von Regen und Wind weggespült. Zurückgeblieben ist lediglich das ungeschminkte, hässliche Gesicht einstigen Fortschrittes. Alles wirkt düster, die hohen Mauern grau, von braunen Schimmelflecken verborgen, die glaslosen Fenster stumpf, wie die Augen eines lange Verstorbenen, an den man sich nicht mehr erinnern kann. Wo sich die Natur mit brachialer Gewalt ihren Raum durch Feuer wiedergenommen hat, stechen nur noch geschwärzte Stahlknochen und von Ranken und Efeu überwucherte Ruinen in die Höhe, im sinnlosen Bemühen, den Niedergang zu überdauern. Nichts rührt sich dort, lediglich der Wind weht heulend durch die Schluchten und leeren Fenster und trägt seine Todesmelodie bis zu dem schmalen Steg hinüber.
    Manchmal denkt David, dass der Wind ihm etwas zuflüstern möchte. Er will ihn locken, so wie es die Sirenen in alten Sagen taten. Komm auf die Seite der Toten , flüstert der Wind, wenn David die Augen schließt und ganz genau hinhört. Hör auf zu kämpfen und komm auf die stille Seite. Wie gerne würde er sich einfach in die traurige Melodie der Stimmen fallen lassen.
    Zu Beginn des Sommers ist er einmal über die alte, steinerne Brücke gegangen, die einige Straßen weiter den Vorort, in dem David lebt, vom Stadtkern trennt. Er hat eine tiefe Furcht empfunden, als er von den grauen Schluchten der Ruinen verschluckt wurde. Der Tag schien auf der anderen Flussseite etwas dunkler zu sein, was daran liegen mochte, dass die steil aufragenden Häuserwände und Bürokomplexe jegliches Licht zu absorbieren schienen und eine düstere, kalte Aschelandschaft zurückließen.
    Die Stille in den Straßen ist ihm wie ein unsichtbares Wesen vorgekommen, das sich schleichend und lauernd zwischen den Ruinen der Stadt fortbewegt. Die Häuser atmeten den Tod aus. Aus zerborstenen Fenstern und offenen Türen quoll der Gestank nach Abfall, Aas und etwas, das so sauer wie ranzige Milch roch, auf die Gassen und Straßen. David hatte das Gefühl, durch einen Sumpf zu waten, dessen Dünste sich schwer auf seine Atemwege legten. Er ist über Berge von Papier, schwarzem, verrottetem Laub und Dreck gegangen, bis er ein kleines Restaurant erreichte, in dem er früher gerne mit Darleen zu Abend gegessen hat.
    Er hat lange vor dem alten Backsteinbau gestanden und das Haus betrachtet. Die Fenster waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und die Eingangstür stand weit offen, als erwarte das Haus seinen Besuch. Das Neonschild des Restaurants lag zersplittert auf dem Gehweg. David stieg darüber hinweg, ging zum Eingang und spähte vorsichtig ins Innere. Bleiernes Licht hat sich wie Tücher über Tische und Stühle gelegt und schien den gesamten Raum wie eine lebendige Präsenz auszufüllen. Der Gestank von verschimmelten Lebensmitteln und altem Staub lag schwer in der Luft.
    Als David langsam durch den Raum ging, knirschten Steine und Abfall unter seinen Schritten. Er ist bis zu dem Tisch in der Nische gegangen, an dem er so oft mit Darleen gesessen hat. Dabei hatte er das absurde Gefühl, dass sich der Raum mit jedem Schritt ein wenig
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