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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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mehr seines alten, verstaubten Mantels entledigen würde und der Glanz der alten Tage zum Vorschein trat. Plötzlich konnte er blütenweiße Tischdecken erkennen, auf denen Weingläser im sanften Schein von Wandleuchten schimmerten. Die Polster der Stühle gewannen ihre tiefrote Farbe zurück und schälten sich aus dem namenlosen Grau des Niedergangs. David glaubte, die eiligen Schritte der Kellner zu hören, das Klingen von Gläsern, die zum Prost erhoben wurden, sowie die vornehme, gedämpfte Unterhaltung von Menschen, in deren anonymer Masse sie wie zwei Liebende untergetaucht waren.
    Er setzte sich damals auf jenen Stuhl, auf dem er früher immer gesessen hat. Er verschränkte die Hände ineinander, schloss die Augen und betrachtete die Bilder, die in seinem Kopf entstanden. Es war, als würde er aus einem tiefen, schwarzen Gewässer auftauchen und zum ersten Mal wieder die Sonne sehen. Der Gestank der Stadt und das tiefe Schweigen der Straßen und Häuser waren vergessen. In Gedanken unterhielt er sich mit Darleen, die ihr schönstes Kleid trug und in deren Augen sich der sanfte Lichtschimmer der Weingläser widerspiegelte. Er konnte ihre Stimme hören, ihr Lachen, und roch ihr Parfum, das sie nur trug, wenn er sie in die Stadt zum Essen ausführte.
    David saß lange Zeit an dem Tisch, der ihm die glücklichsten Momente seines Lebens beschert hat. Zum ersten Mal seit Monaten spielte die Andeutung eines Lächelns um seine Mundwinkel.
    Irgendwann, als es Abend wurde, verblassten die Farben allmählich und wurden von Dunkelheit fortgespült. Die Gespräche und das Klappern von Geschirr verstummten, und Darleens Stimme verhallte wie das Flüstern des Windes in seinen Gedanken.
    Als die Kälte in das kleine Restaurant gekrochen kam und sich der Raum wieder in sein staubiges Leichentuch hüllte, ist er gegangen. Er spürte erst, dass er weinte, als ihm der kühle Abendwind auf der Straße die Tränen trocknete.
    Das ist das einzige Mal gewesen, dass David den Fluss überquerte. Die Stadt, das kleine Restaurant, sowie Darleen blieben auf der anderen Flussseite zurück, umhüllt von ewigem Schweigen und grauer Kälte. Ebenso die Erinnerungen an eine wunderschöne Zeit, die er für einige wenige Momente noch einmal spüren durfte.

    Es ist Abend. David spürt eine feuchte Kälte, die über den Fluss gekrochen kommt. Mit langsamen Schritten geht er in den Teil der Stadt zurück, in dem er lebt – jetzt alleine, früher mit Darleen. Dabei starrt er auf den Boden und betrachtet abwechselnd seine Schuhe, die in seinem Sichtfeld auftauchen. Die Sportschuhe sind schmutzig und abgelaufen. Es wird Zeit, sich neue zu besorgen.
    Über der Schulter trägt er sein Gewehr, obwohl es nichts mehr gibt, wofür er es benutzen könnte. Trotzdem reinigt und ölt er es zweimal in der Woche. Man kann ja nie wissen.
    Er hält es so, wie es seine Westernhelden damals im Fernsehen immer getan haben. John Wayne und Clint Eastwood sind die Helden seiner Kindertage. In ihren Filmen sah das stets lässig und männlich aus. Heute trägt er es einfach so, weil es auf diese Art am bequemsten ist.
    Mit müden Schritten geht er die Straße hinauf bis zur Kreuzung und bleibt dort stehen. Über ihm schaukelt eine verrostete Ampel im Wind. Irgendwo kann er das gleichmäßige Knarren eines Fensterladens hören. Verrottete Fähnchen flattern vor dem von Staub und Schlieren ergrauten Schaufenster eines Geschäftes.
    Sonst ist alles still. Die Welt hat das Sprechen verlernt. Die einzigen Worte stammen von David selbst, wenn er mit sich redet. Er hat gemerkt, dass ihn die Gespräche davor bewahren, den Verstand zu verlieren. Ab und zu muss der Mensch einfach reden – egal was.
    Manchmal hat er das Gefühl, dass er nicht alleine ist, wenn er mit sich selbst redet. Am Anfang hat er sich keine Gedanken darüber gemacht, da er das Gefühl mochte. Es war ungefähr mit dem berühmten Pfeifen im dunklen Keller zu vergleichen. Er fühlte sich geborgen und nicht mehr so einsam, wenn er mit sich selbst sprach.
    Doch nach einigen Wochen war ihm aufgefallen, dass dieses Gefühl der Zweisamkeit keineswegs von einer zwar schizophrenen, jedoch äußerst willkommenen Neigung herrührte, vielmehr überkam ihn immer öfter das trügerische Gefühl, dass da wirklich jemand in seiner Nähe war, wenn er begann, mit sich selbst zu reden; als stünde ihm eine unsichtbare Person gegenüber und lauschte seinen Erzählungen.
    David hat diesem Jemand sogar einen Namen gegeben. Er nennt
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