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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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wütend auf sich selbst. Noch in der Nacht. Einfach fort von hier.
    Sie weiß nicht, was sich da in der Nacht an sie herangeschlichen hat. Etwas ist ihr gefolgt, seit sie die ersten Häuser der Stadt erreichte. Ein schlechter Geruch hat in der Luft gehangen und ihr in der Nase gekitzelt. Aber es ist nicht der übliche Gestank nach verrottetem Abfall, Fäulnis und dem langsamen Zerfall der Häuser gewesen, den sie in jeder Stadt, durch die sie gekommen ist, vorgefunden hat. Da war etwas, das die üblichen Gerüche überlagerte. Etwas, das die Luft dick und lebendig machte. Etwas Schlechtes. Etwas Böses …
    Im Laufe der Monate hat sie einen Sinn dafür entwickelt zu fühlen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Ein fremder Geschmack auf der Zunge, ein Reizen ihrer Nase durch einen Duft, der nicht dazugehört.
    Dieses Etwas hat sie verfolgt. Es hat sich in den Schatten von Häusern und Bäumen versteckt gehalten, wie ein schleichender Schatten in einem Albtraum. Doch Es war da gewesen, so eindeutig, dass sie manchmal sogar die Richtung bestimmen konnte, aus der sie beobachtet wurde.
    In dem Geschäft mit den hübschen Kleidern hat sie dann gespürt, wie dieses Etwas ihren nackten Körper anstarrt. Das Gefühl ist abscheulich gewesen, als würde das Geschöpf sie mit seinen kalten, bleichen Händen abtasten und jeden Zentimeter ihres Körpers erkunden. Ihre Nackenhärchen haben sich aufgerichtet, während Eis durch ihre Adern floss. Als sie sich im Spiegel in ihren neuen Kleidern betrachtete, hat sie einen Schatten erkennen können: Etwas Dunkles, das vor dem Schaufenster kauerte und sich mit der Nacht tarnte; ein Albtraum aus Dunkelheit und den Ängsten ihrer Kindheit. Dann schlug das Geschöpf knurrend gegen die Scheibe und verschwand.
    Als sie wieder auf der Straße stand, verflog das widerliche Gefühl, beobachtet zu werden, allmählich; als würde der Wind den Gestank einer tiefen Grube mit sich forttragen.
    Ich hätte weiterziehen sollen , denkt sie erneut und spürt Zorn auf sich selbst tief in ihrem Inneren aufsteigen. Stattdessen sitze ich hier, in einer kalten, dunklen, nach Tieren stinkenden Wohnung, deren Tür ich aufgebrochen habe, und verstecke mich vor dem, was da draußen in der Stadt lauert.
    Es ist immer noch da, sie kann es spüren. Auch wenn die Nacht bereits gegangen ist, so hat sie das Geschöpf zurückgelassen.
    Ich kann mich nicht ewig verstecken , denkt sie, und hasst ihre eigenen Worte. Sie würde am liebsten nur noch schlafen. Solange es Tag ist, kann ich die Stadt verlassen.
    Sie öffnet die Augen und betrachtet die schmutzigen Pfützen aus Sonnenschein, die durch die Fensterläden sickern und morastige Teiche auf einem verschimmelten Teppich bilden. Selbst der Tag scheint in dieser Stadt nach etwas Schlechtem zu riechen.
    Es lauert, selbst am Tag , schreien ihre Gedanken. Doch ich muss weiter, noch ehe die Nacht erneut hereinbricht.

    ***

    Was David früher wichtig erschien, zählt heute nicht mehr. Im Laufe der Zeit ändert sich die Sichtweise. So, wie sich die Welt verändert hat, hat auch David sich verändert: Seine Gedanken, die Gefühle, die Ängste. Selbst sein Lebensrhythmus ist nicht mehr derselbe wie früher.
    Früher … wann war das? Er kann sich fast schon nicht mehr erinnern.
    Die Tage rauschen wie ein ewiger Fluss an ihm vorbei und lassen nichts zurück. Jeder Tag scheint eine exakte Kopie des vorangegangenen zu sein; es wird hell, es wird dunkel, warm und kalt. David wird älter und kommt dem Tod näher. So bemisst er seine Tage. Er steht auf, wenn es hell wird und weiß, dass ein neuer Tag beginnt – egal welcher. Er streicht ihn am Kalender an und hat im nächsten Moment vergessen, wie man den Tag früher einmal nannte. Spät in der Nacht legt er sich irgendwann schlafen und lauscht der Stille, die alles verschluckt und zu seinem Leben geworden ist. Noch bevor es hell wird, ist er wieder wach. Er braucht nicht mehr viel Schlaf, eine weitere Veränderung. Vielleicht hängt dies mit seiner beschaulichen Eile zusammen. Die Welt ist langsamer geworden, und er hat sich ihr angepasst, so wie sich das Wasser eines Bachs seinem Flussbett anpasst, obwohl er sich nicht mehr daran erinnern kann, wie ein Bach aussieht oder wie er riecht oder klingt. Manchmal versucht er, es sich in der Nacht vorzustellen, wenn die Stille aus ihren Nischen und Ecken springt und in der Dunkelheit tanzt. Doch es gelingt ihm nicht. Die Wege zurück in seine Kindheit, zu dem kleinen Haus seiner Großeltern
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