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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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verzichten«, antwortete Wera weniger feinfühlig. »Er als großer Musikliebhaber hätte dir sagen können, um welche Sonate es sich handelt. Gegen ihn und seine Kenntnisse sind wir zwar nur Banausen, aber ein bisschen Musik wäre dennoch schön gewesen.« Wera schaute ihre Mutter herausfordernd an. »Es ist wirklich eine Schande, dass sich Vater ausgerechnet an Silvester auf so unelegante Weise aus dem Staub macht!«, brach es dann aus ihr heraus. »Nicht genug, dass ihr zwei das Jahr über fast nur noch getrennte Wege geht, aber muss es heute auch noch sein? Sind wir ihm alle so unwichtig?« Wera schüttelte verärgert den Kopf. »Ich verstehe wirklich nicht, wie du das alles zulassen kannst!«
    Erstarrt ließ Olly ihr Besteck sinken.
    »Wo ist der Opapa?«, riefen die Zwillinge gleichzeitig. Evelyn legte hastig ihren rechten Zeigefinger auf den Mund. »Nicht jetzt«, flüsterte sie ihnen zu und schaute dabei streng drein.
    »Es ist doch wahr«, sagte Wera, als von Olly immer noch keine Reaktion kam. »Dass Karl es vorzieht, mit seinem neuen Vorleser Charles Woodcock zu feiern statt mit uns, ist verletzend und ein Skandal.« Angewidert schaute sie in die Runde. »Ich habe diese schwüle Atmosphäre hier am Hof so satt! Warum kann Vater nichtsein wie andere Männer? Manchmal denke ich, es wäre um der Kinder willen das Beste, wenn ich mich gar nicht mehr blicken ließe. In Bebenhausen sind sicher ein paar Zimmer für uns frei. Oder in Friedrichshafen.«
    »Wera!« Ollys Stimme klang wie erstickt.
    Evelyn suchte unter dem Tisch mit ihrem Zeh nach Weras Schienbein. Musste dieser Diskurs ausgerechnet heute sein?
    »Der König steht unter einem schlechten Einfluss, er ist wie verhext«, sagte Wilhelm von Spitzemberg. »Dieser Charles Woodcock mit seinem hübschen Gesicht ist der Teufel persönlich! Er hat aus dem König eine Marionette gemacht, die willig tanzt, wann immer er an den Fäden zieht. Woodcocks Worte sind heilig, guten Ratschlägen anderer gegenüber ist Karl hingegen längst immun. Wann immer ich ihn mahne, einem Wildfremden nicht so viel Vertrauen zu schenken, heißt es, ich sei missgünstig und kleinmütig. Dabei will ich doch nur das Beste für unseren König. Dieser Charles Woodcock jedoch ist pures Gift!« Karls einstiger Vertrauter sackte in sich zusammen. Wera nickte heftig.
    »Ein Lebemann! Wie er sich immer mit seinen homöopathischen Kenntnissen wichtigtut. Und dann die affektierte Art, in der er spricht. Ein Literat soll er sein, pah! Warum haben wir dann alle noch keine Zeile von ihm gelesen? Ich möchte wirklich zu gern wissen, aus welchem Stall der Bursche tatsächlich kommt. Dass Karl ausgerechnet solch einem dahergelaufenen Menschen sein Vertrauen schenkt! Ganz Stuttgart spricht schon von dieser … Freundschaft .«
    Mit steifen Bewegungen nahm Olly Messer und Gabel wieder auf und tat so, als würde sie sich der geräucherten Forelle auf ihrem Teller widmen.
    »Eine kleine Affäre, mehr nicht«, sagte sie blechern. »Ich verstehe wirklich nicht, warum ihr euch alle so kleinlich gebt. Wie anmaßend ihr euch äußert. Glaubt ihr, mit einer solchen Einstellung hätte ich all die Jahre – Jahrzehnte! – überstanden?« Sie warf Wilhelm von Spitzemberg einen bedeutungsvollen Blick zu. »Karl ist Karl, ihn ändern zu wollen, habe ich schon vor Ewigkeiten aufgegeben.Heute steht dieser in seiner Gunst, morgen jener. Dass ausgerechnet du dich über das Gerede der Leute echauffierst, enttäuscht mich sehr«, sagte sie dann zu Wera. »Ich dachte, dir beigebracht zu haben, über solchen Dingen zu stehen. Und hat nicht jeder Mensch das Recht, sein zu dürfen, wie der liebe Gott ihn geschaffen hat? Du nimmst dir dieses Recht Tag für Tag, aber Karl willst du es nicht zugestehen?«
    »Doch«, antwortete Wera verlegen. »Aber macht es dir wirklich gar nichts aus, dass Karl …« Hilflos brach sie ab.
    Auf Ollys Gesicht lag ein Ausdruck, der von so viel Leid und Trauer sprach, dass es Evelyn fast das Herz brach.
    »Ich bin es leid«, sagte die Königin. »Lasst uns von etwas anderem sprechen.«
    Das Essen nahm seinen Gang, danach fand das obligatorische Bleigießen statt. Während sich alle redlich bemühten, in den Bleiklumpen gute Symbole zu entdecken, schaute Olly dem Spiel nur schweigend zu. Es war kurz vor Mitternacht, als sie plötzlich aufstand.
    Sofort war auch Evelyn auf den Beinen. »Ist Ihnen nicht gut, Hoheit? Kann ich etwas für Sie tun?«
    Olly schüttelte den Kopf. »Seid mir bitte
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